Benaissa-Prozess löst auch konstruktive Diskussionen über HIV aus

Neben der einseitigen Berichterstattung des Boulevards wird in vielen Medien differenziert berichtet. In Foren wird debattiert. Kritik auch am Gerichtsprozess.

Der Prozess gegen die Sängerin Nadja Benaissa hat eine breite Diskussion über HIV und Verantwortung ausgelöst. Immer mehr Medien aus dem In- und Ausland berichten differenziert über den Prozess und lassen Experten zu Wort kommen, die vor einer weiteren Kriminalisierung und Stigmatisierung von HIV-Positiven warnen.

So lässt zum Beispiel n-tv auf seiner Website ausführlich einen Fachanwalt für Medienrecht zu Wort kommen. Er bezieht Stellung zur öffentlichen Vorverurteilung von Nadja Benaissa und erläutert, warum das angebliche Geständnis keines gewesen sei.

In Online-Medien wird derweil debattiert: über den Prozess ebenso wie über ein Grundsatzpapier der Deutschen AIDS-Hilfe zum Thema Strafbarkeit von ungeschütztem Sex von HIV-Positiven mit HIV-Negativen. Eine besonders lebhafte Debatte über Verantwortung und Strafrecht ist dabei zum Beispiel in einem Forum der Brigitte entstanden.

Auch das Bild, das im Prozess und in den Medien von Nadja Benaissa gezeichnet wird, ist differenzierter geworden. Ein weiterer Zeuge hat inzwischen ausgesagt, dass Benaissa „sehr offen und verantwortungsvoll mit ihrer HIV-Infektion umgegangen“ sei und beim Geschlechtsverkehr mit ihm Kondome benutzt habe.

Die Sängerin hatte zum Prozessauftakt eingeräumt, nicht immer verantwortungsvoll mit ihrer HIV-Infektion umgegangen zu sein und sehr bedauert, den Nebenkläger Ralph S. möglicherweise mit HIV infiziert zu haben.

Zahlreiche Medien und Rechtsanwälte spekulieren inzwischen, Nadja Benaissa könne mit einer vergleichsweise geringen Bewährungsstraße rechnen. Einige Experten und viele Betroffene fordern den Freispruch der Künstlerin.

Die Deutsche AIDS-Hilfe hat während der Diskussion in zahlreichen Interviews darauf hingewiesen, dass Stigmatisierung und Diskriminierung von HIV-Positiven die Kommunikation über HIV erschwere und damit der Prävention schade. Die DAH betont außerdem, dass HIV-Negative genauso Verantwortung für ihren Schutz beim Sex übernehmen müssen. (Details hierzu finden Sie im oben genannten Grundsatzpapier.)

Trotz der Entwicklung der Diskussion kritisiert die DAH weiterhin die unzureichende und simplifizierende Darstellung des Lebens mit HIV und Aids – vor allem in den Boulevardmedien (siehe auch Kommentar vom 19.8.). Solche Berichterstattung trägt dazu bei, dass sich Irrtümer im Umgang mit HIV und Safer Sex verfestigen können. Dazu zählen zum Beispiel Überzeugungen wie „Verhütung ist Frauensache“; „Nur Schwule bekommen HIV“ oder „HIV ist ein Problem von Menschen dunkler Hautfarbe“.

Doch nicht nur die Boulevardmedien verdienen eine kritische Betrachtung. Am Rande des Prozesses äußerten Journalistinnen und Journalisten, die Einflüsse des sozio-kulturellen Umfeldes sowie des Musikbusiness auf die Künstlerin sollten im Verfahren stärker berücksichtigt werden. Auch der von Männern dominierte Prozess selbst müsse kritisch hinterfragt werden.

Im Nachbarland Österreich gibt es für Menschen mit HIV zugleich eine wichtige Veränderung: Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hat ihre Staatsanwälte angewiesen, „dass Anklagen gegen HIV-Positive bei Befolgung der Safer-Sex-Regeln unzulässig sind.“

Kommentar der österreichischen Aids-Gesellschaft: "Die Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz ist ein weiterer Schritt zur Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von HIV-Positiven."

(joli)
 

Informationen über HIV und Strafrecht auf aidshilfe.de

Bericht über den ersten Prozesstag bei aidshilfe.de