HIV-Epidemie in Russland breitet sich weiter aus

In Russland ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen 2011 gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent auf 62.000 Fälle gestiegen.

Die Neuinfektionsrate haben vor allem bei Männern zwischen 30 und 35 Jahren epidemische Ausmaße erreicht, so Russlands Oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko nach einer Meldung der Ärztezeitung. Zudem sei der Anteil infizierter Frauen gestiegen: In 13 Regionen des Landes habe man mehr als die Hälfte der Neuinfektionen bei Frauen diagnostiziert. Nach Angaben der russischen Gesundheitsbehörde war der häufigste Übertragungsweg mit knapp 60 % der Fälle weiterhin die Verwendung verunreinigter Spritzen beim Drogengebrauch. Fast 40 % der Neuinfektionen seien durch ungeschützten Sexualverkehr erfolgt.

Laut Onischtschenko seien seit 1987 mehr als 600.000 HIV-Infizierte registriert worden. Experten setzen das tatsächliche Ausmaß der Epidemie jedoch weit höher an. Schätzungen zufolge leben in Russland mit seinen insgesamt 141 Millionen Einwohnern mehr als eine Million Menschen mit HIV. Nach Angaben des Föderalen Anti-Aids-Zentrums in Moskau wird HIV in Russland nach wie vor stark tabuisiert. Aktivisten beklagen die unzureichende Versorgung mit HIV-Medikamenten, die Stigmatisierung der von HIV betroffenen Gruppen, das gesetzliche Verbot der Substitutionstherapie und die mangelnde Aufklärung.

Besorgniserregend ist die Situation vor allem auch deshalb, weil sich der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria nach acht Förderjahren aus Russland zurückgezogen hat. Darunter leidet die Arbeit der wenigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich in der HIV-Prävention für besonders betroffene Gruppen wie Schwule oder Drogengebraucher engagieren. „Die NGOs sind auch die einzigen, die ein staatliches Engagement in diesem Feld einfordern, das aus politischen Gründen bisher aber unterblieben ist“, sagt Sergiu Grimalschi von der Deutschen AIDS-Hilfe. „Mit einem auf drei Jahre angelegten EU-Projekt, in dem wir als einziger EU-Partner mitwirken, ist es unserer Partnerorganisation LaSky gelungen, die HIV-Prävention zumindest in fünf russischen Regionen aufrechtzuerhalten.“

Die Behörden behindern die Arbeit von Organisationen, die sich für international bewährte, aber vom Staat missbilligte Maßnahmen der HIV-Prävention einsetzen, wie etwa Kondomvergabe bei Prostituierten, Spritzentauschprogramme oder Substitutionsbehandlung für Drogenkonsumenten. „Wie schwer sich der Staat mit einer realistischen Drogenpolitik und einer an den Menschenrechten ausgerichteten Präventionsarbeit tut, zeigt sich unter anderem daran, dass die russische Drogenkontrollbehörde im Februar die Website der Andrey-Rylkov-Stiftung sperren ließ“, so Grimalschi. „Begründet wurde das damit, dass sie Informationen zur Förderung des Drogenkonsums enthalte. Auf ihrer Seite plädierte die Stiftung dafür, das Verbot gegen die Substitution aufzuheben und diese Behandlungsform endlich zugänglich zu machen.“       

Zusätzlich verschärft wird die Situation dadurch, dass nun auch in St. Petersburg ein Gesetz in Kraft getreten ist, das alle öffentlichen Aktivitäten unter Strafe stellt, die im Beisein von Jugendlichen „Sodomie, Lesbianismus, Bisexualismus, Transgenderismus und Pädophilie“ positiv darstellen. Ähnliche Gesetze wurden bereits in den russischen Regionen Rjasan und Archangelsk erlassen, und Regionen wie Kostroma und Moskau werden nachziehen. „Experten der Eurasischen Koalition für Männergesundheit (ECOM) kritisieren, dass durch das Gesetz die Ausgrenzung der betreffenden Gruppen verstärkt und die Arbeit der im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit tätigen Organisationen massiv behindert wird“, sagt Sergiu Grimalschi. „Dies trägt laut ECOM zu einer weiteren Ausbreitung von HIV, Virushepatitis und anderen sexuell übertragbaren Infektionen bei.“
 

(ch)

 

Quellen:

Aliveankickn

Ärztezeitung

Swissinfo

Deutsche AIDS-Hilfe: Trotz internationaler Proteste: St. Petersburg verbietet Homo-Propaganda

Deutsche AIDS-Hilfe: Keine homosexuelle Propaganda in St. Petersgburg, kein Methadon in Russland