„Viele Tote, viel Leben“ – 25 Jahre AIDS-Hilfe Wuppertal

Die Geschichte der AIDS-Hilfe Wuppertal beginnt mit einer außergewöhnlichen Frau: Dagmar Melz war in den 80er Jahren Leiterin der Infektionsstation im Arrenberger Krankenhaus und hat dort gegen den erbitterten Widerstand ihrer Kollegen und der Schwesternschaft den ersten Aids-Patienten behandelt. Sie erinnert sich, wie ein Oberarzt ihr vor „versammelter Mannschaft“ auf dem Klinkflur vorwarf, sie sei schuld, wenn seine Kinder von Schwulen vergewaltigt würden. Die Schwestern kündigten an, ihr nie zu verzeihen, dass sie „so etwas angeschleppt habe“. Sie wurde geschnitten und saß in der Mensa alleine am Tisch. Aber: „Das hat mich so überhaupt nicht gejuckt. Da war ein Mensch, der Hilfe brauchte. Das war mein Leben. Meine Familie hat immer die Verpflichtung gelebt, für andere da zu sein.“

Außerhalb der Klinikmauern war die Stimmung nicht weniger hysterisch: Erzieherinnen befürchteten, sich bei Kindern an einem aufgestoßenen Knie zu infizieren, in Brauereien wurden die Flaschenabfüllanlagen, wo es die meisten Scherben gab, zum Ort des Schreckens. Deshalb war die Ärztin in jeder freien Minute in Sachen Aufklärung unterwegs und hielt Vorträge in Kindergärten, Betrieben, Konzernzentralen, vor Kirchengemeinden, Feuerwehrleuten und Sanitätern. Einmal hat sie sogar die gesamte Wuppertaler Stadthalle gefüllt. Als sie zusammen mit einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamts eine Aids-Beratungsstelle direkt am umzäunten Klinkgelände aufbaute, empfahl ein Leserbriefschreiber, sie „mit dem gesamten Schmutz dort einzusperren und den Zaun unter Strom zu setzen“.

Doch auch Drohanrufe und ihr zerkratztes Auto hielten sie nicht davon ab, weiterzumachen. In Wuppertal fand allmählich eine „bunte Mischung“ von Menschen zusammen – HIV-Positive, deren Freunde, Angehörige, interessierte Homo- und Heterosexuelle sowie einige Politiker -, die schließlich die Basis für die Gründung der AIDS-Hilfe im März 1987 in einer Privatwohnung wurden. Dagmar Melz wurde in den Vorstand gewählt, weil ihr Doktortitel und ihr Status als Ärztin die Suche nach Räumlichkeiten und einer Bank, die ein Konto für den Verein einrichtete, erleichterte und sie eine Brücke zwischen Aidshilfe, Medien und Behörden herstellen konnte.

Schnitt ins Jubiläumsjahr 2012: Die AIDS-Hilfe Wuppertal setzt sich neben den üblichen Beratungs-, Betreuungs- und Aufklärungsaufgaben besonders für die Rechte von Schwulen und Lesben ein, ihre Arbeit im Bereich HIV und Schwangerschaft hat bundesweite Bedeutung, und sie legt viel Wert darauf, in der Gesellschaft ein realistisches Bild vom heutigen Leben mit HIV zu vermitteln. Nicht zuletzt blickt sie über den Tellerrand des Bergischen Landes hinaus – zum Beispiel zu HIV/Aids-Projekten in Nicaragua, Russland und Südafrika, mit denen eine enge partnerschaftliche Zusammenarbeit besteht.

Für Michael Jähme, der wenige Monate nach seinem positiven Testergebnis 1990 als Sozialpädagoge in der AIDS-Hilfe Wuppertal angestellt wurde und fast ihre gesamte Geschichte miterlebt und geprägt hat, sind die Meilensteine ihrer Entwicklung seit der grauen Vorzeit eng mit bestimmten Menschen verbunden: zum Beispiel mit René Erber, mit dem zusammen er den CSD in Wuppertal schwul-lesbischen Feiertag etabliert hat; mit Cori Obst, die durch ihr offensives Auftreten in der Öffentlichkeit gerade während ihrer Schwangerschaft Frauen mit HIV ein Gesicht gab und für ihren Einsatz mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde; und mit Andrea Wetzchewald, die die Frauenarbeit weiter ausgebaut und vernetzt hat.

Sein Fazit zum Jubiläum bringt er auf eine kurze Formel: „Viele Tote, viel Leben. Wir haben es uns nicht nehmen lassen, auch im Angesicht der Todesbedrohung das Leben zu feiern.“ Er ist stolz auf das, was Menschen mit HIV in all den Jahren geleistet haben: „Es sind immer persönliche Begegnungen, die am wirksamsten sind. Da findet ein Lernen bei anderen Menschen statt.“ Dennoch wird die 50-Jahr-Feier 2037 ohne ihn stattfinden: „Ich will auch mal ohne die Aids-Hilfe leben.“

(af)