Deutsche AIDS-Hilfe ehrt Rita Süssmuth und ein Altersheim für Junkies

Süssmuth: Gesellschaftlichen Rückschritten entgegentreten / DAH: Die Würde von Drogen konsumierenden Menschen ist antastbar / Beispielhaftes Altersheim in Unna gibt ihnen ein Zuhause und ein Stück Normalität zurück

Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) hat gestern Abend bei ihrem Frühjahrsempfang im Heimathafen Neukölln in Berlin Prof. Dr. Rita Süssmuth (CDU) die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Der Hans-Peter-Hauschild-Preis des Dachverbandes der Aidshilfe-Organisationen in Deutschland ging an das Projekt DaWo in Unna, besser bekannt als „Deutschlands erstes Altersheim für Junkies“.

Rund 300 Gäste feierten die Geehrten und erlebten, wie der Abend unter dem Motto MUT BEWEGT zu einem Fanal wurde: gegen Ausgrenzung und für Solidarität, Lebensfreude und politisches Engagement – in Zeiten, in denen die Emanzipation von Minderheiten erneut auf dem Spiel steht und „Ausgrenzung wieder salonfähig gemacht werden soll“, wie es DAH-Vorstand Manuel Izdebski formulierte.

Rita Süssmuth erklärte in ihrer Rede:

„Diese Ehrung ist mir sehr wichtig. Weil sie, bei allem was erreicht worden ist, zu einem Zeitpunkt und in einem gesellschaftlichen Klima erfolgt, zu dem ich sagen muss: Wir befinden uns im Rückwärtsgang. (…) Was ich gegenwärtig an versuchten Rückschritten erlebe, in Bezug auf die Fremdherrschaft über die Körper von Frauen unter den Vorzeichen des Schutzes des ungeborenen Lebens, in Bezug auf die erneute Ausgrenzung von Menschen die anders leben, egal ob sie eine andere Sexualität haben, eine andere Ethnie oder anders anders sind: Wir waren schon einmal weiter. Dies ist eine wichtige Zeit.“ Mit Blick auf die niedrigen HIV-Neuinfektionszahlen in Deutschland fuhr Süssmuth fort:  „Ich möchte den Begriff Neuinfektion heute in einem umfassenderen Sinn gebrauchen und die Frage stellen: Wovon sind wir, als Gesellschaft, schon wieder infiziert?“ Süssmuth plädierte dafür, den genannten Entwicklungen entschieden entgegenzutreten.

SÜSSMUTH BEWEGT

Die ehemalige Bundestagspräsidentin erhielt die höchste Auszeichnung der Deutschen AIDS-Hilfe für ihre bahnbrechende Aids-Politik in ihrer Zeit als Bundesgesundheitsministerin in den 80er Jahren. Entschieden wandte sich Rita Süssmuth damals gegen Ausgrenzung und bezog die am stärksten von HIV betroffenen Gruppen als Partner mit ein. Sie legte damit die Grundlage für die bis heute außerordentlich erfolgreiche HIV-Prävention in Deutschland.

DAH-Vorstand Manuel Izdebski in seiner Rede zur Eröffnung des Abends über Rita Süssmuth:

„Sie erkannte die Zeichen der Zeit. Sie ließ sich nicht mitreißen von Panik und Panikmache, sondern behielt einen kühlen Kopf und bewahrte sich ihre menschliche Wärme, ihre Überzeugung, dass Ausgrenzung von Menschen kein Weg sein darf. (…) Sie überwand dabei enorme Widerstände.“

DAH-Ehrenmitglied und Ex-Vorstand Rainer Ehlers in seiner Laudatio an Rita Süssmuth:

„Du hast Dich verdient gemacht, wenn es darum geht, die Menschenverachtung aufzudecken, die hinter jeder Diskriminierung steckt. (…) Du hast Dich der Angst der Menschen gestellt und sie ernst genommen - ohne von dem abzuweichen, was du für richtig hieltest. Und du hast dich damit durchgesetzt.“

Mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingssituation sagte Ehlers, jemand mit so viel Weitblick und einer solchen Integrationsfähigkeit wie Süssmuth fehle heute, „in dieser Krise der Menschlichkeit“, auf der politischen Bühne.

In einer zweiten Laudatio brachten neun junge Aktivist_innen, viele von ihnen HIV-positiv, aus ganz verschiedenen Bereichen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck und berichteten, wie sie heute an Süssmuths Politik anknüpfen.

Altersheim für Drogenkonsumenten

Auch das Projekt DaWo des Projektes LÜSA vom Verein zur Förderung der Wiedereingliederung Drogenabhängiger e.V. in Unna  steht in der Tradition Süssmuths: Die deutsche AIDS-Politik eröffnete intravenös Drogen Menschen neue Gesundheitschancen und Lebensperspektiven: Sie erhalten seit damals saubere Spritzen und Substitutionstherapien. Darum können „Junkies“ heute alt werden. DaWo („Dauerwohneinrichtung“ oder „Da Wo man bleiben kann“ gibt ihnen seit letztem Jahr – bundesweit einmalig – im Alter ein Zuhause, in dem sie ihren Bedürfnissen entsprechend leben können und sozial wie medizinische angemessen versorgt werden.

DAH-Vorstand Ulf-Hentschke-Kristal sagte über diese Pionierarbeit in seiner Laudatio:

„Opiatabhänige sind nach wie vor eine Gruppe, die kaum eine Lobby hat. Ihre Würde ist antastbar, ihr Leben und ihre Gesundheit vielen Entscheidungsträgern egal – sonst gäbe es zum Beispiel längst überall Drogenkonsumräume und eine Drogenpolitik, die Abhängige nicht auch noch verfolgt und bestraft. Für diese Schmuddelkinder unter den Schmuddelkindern Partei zu ergreifen, ihnen Würde und ein Stück Normalität zurückzugeben, ist aus unserer Sicht besonders preiswürdig.“

Mit dem Hans-Peter-Hauschild-Preis zeichnet die Deutsche AIDS-Hilfe jährlich beispielhafte Projekte der „strukturellen Prävention“ aus, die also auch die gesellschaftlichen Grundlagen für Gesundheitschancen einbeziehen.

Weitere Redetexte in Kürze hier verfügbar.

Bericht über die Veranstaltung der Zeitschrift Männer (mit weiteren Ausschnitten der Süssmuth-Rede)

Bericht über das „Junkie-Altenheim“ auf magazin.hiv

Weitere Fotos im Facebook-Kanal der Deutschen AIDS-Hilfe