Medienberichterstattung verstärkt Stigmatisierung HIV-Positiver und schadet der Prävention

„Ich habe Fehler beim Umgang mit meiner HIV-Infektion gemacht“, gestand Nadja Benaissa zum Prozessauftakt am vergangenen Montag vor Gericht. Vor allem die Boulevardmedien und einige große Tageszeitungen greifen das Schuldeingeständnis sehr einseitig in großen Lettern auf.

Vertane Chance!

Differenzierte Betrachtungen findet man allenfalls im „Kleingedruckten“. Damit haben viele Medien eine große Chance vertan: Sie nutzen den Prozess nicht, um endlich differenzierter über das Leben mit HIV in Deutschland im Jahr 2010 zu berichten. Und sie kommen bis heute ihrem Auftrag nicht nach, Wirklichkeit abzubilden und zu hinterfragen.

Sie fragen beispielsweise nicht: Wie geht es HIV-Positiven in Deutschland heute? Wie leben sie? Wie schützen sie sich und andere? Was bewirken die Medikamente? Was bedeutet es, eine Viruslast unter der Nachweisgrenze zu haben? Wie gehen HIV-Positive mit dem Stigma und der Diskriminierung durch Medien und Gesellschaft um?

HIV-Positive kamen nicht zu Wort

Nicht ein HIV-positiver Mensch kam in den vergangenen Tagen in den meinungsführenden Medien zu Wort. Es wird also wieder einmal über Menschen mit HIV gesprochen und nicht mit ihnen. Das ist ein Skandal. So werden weiterhin sehr einseitige Bilder und Themen transportiert, die auch Verfahrensbeteiligte – Richter, Staatsanwaltschaft, Gutachter – beeinflussen können. Denn Urteile sind immer auch ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse.

Damit ist bis heute die mitunter vorverurteilende Berichterstattung der Medien über Frau Benaissa – und über HIV-Positive allgemein – nicht korrigiert worden. Im Gegenteil: Einige Medien scheinen sich in ihrer bisherigen Darstellung bestätigt zu sehen.

Der Prävention einen Bärendienst erwiesen

Diese Entwicklung ist fatal. Sie setzt das falsche Signal: Hier der allein verantwortliche HIV-positive „Täter“, dort das HIV-negative, unschuldige Opfer, das vermeintlich keine Verantwortung für die Verhütung hat. Eine solche vereinfachende Botschaft schadet der Prävention und ignoriert die Ziele jahrzehntelanger Aufklärungsarbeit.

So wird eine Lebenswirklichkeit konstruiert, die gerade für die Entwicklung der Eigenverantwortlichkeit junger Menschen kontraproduktiv ist. Am konkreten Fall Benaissa könnte der Eindruck entstehen, Frauen und Mädchen würde Verantwortung einseitig aufgebürdet. Der Schutz vor HIV obliegt aber immer beiden Partnern.

In der aktuellen Berichterstattung zum Fall Nadja Benaissa wird die Stigmatisierung von HIV-Positiven fortgeschrieben. Dies trägt mit dazu bei, dass Menschen nicht über ihre Infektion reden (können), kein ausreichendes Selbstbewusstsein entwickeln und ihre Sexualität nicht selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben können. Eine unsachliche und inhaltlich falsche Berichterstattung erweist der Prävention damit einen Bärendienst.

(joli)

Kommentare

Hallo alivenkickn, ganz so schwarz würde ich das nicht sehen. Es sind in den zurückliegenden Tagen auch sehr gute Berichte/Kommentare veröffentlicht worden. Da sind auch Journalisten dabei, die sich sehr gut informiert und präzise recherchiert haben. Ärgerlich hingegen sind vor allem viele der großen meinungsmachenden Boulevardmedien, denen es häufig mehr um den Effekt als um eine ausgewogene und sachliche Berichterstattung geht. Das ist eben schädlich für Menschen mit HIV und für die Präventionsarbeit.