Tabu, Scham & Co.: Warum viele HIV-Infektionen spät erkannt werden

Etwa ein Drittel der derzeitigen Todesfälle von HIV-Infizierten in Deutschland und anderen europäischen Ländern ist Folge einer zu späten Diagnose oder eines zu späten Behandlungsbeginns. Eine von Dr. Phil C. Langer im Auftrag der DAH durchgeführte Studie beschreibt nun psychosoziale Aspekte dieses Phänomens und macht Verbesserungsvorschläge für die Prävention. Langer hat dazu die internationale Forschungsliteratur ausgewertet, Experteninterviews geführt und 15 Menschen „mit Spätdiagnoseerfahrung“ befragt.

In der Zusammenfassung seiner Studie (siehe Anhang) weist der Autor zunächst darauf hin, dass der Begriff „HIV-Spätdiagnose“ bislang vor allem in der Medizin verwendet wird, dort aber nicht einheitlich definiert ist. Außerdem enthalte er immer auch eine Wertung und Schuldzuschreibung, nicht frühzeitig zum Test gegangen oder eine Behandlung begonnen zu haben.

Als Hauptgrund für späte Diagnosen identifiziert Langer die Stigmatisierung und Tabuisierung des Themas HIV/Aids. In vielen Fällen seien die bedrohlichen Bilder des „alten“ Aids – schwere Krankheit, Siechtum, Tod – so stark verinnerlicht worden, dass die Auseinandersetzung mit einem eventuellen Ansteckungsrisiko verdrängt oder abgewehrt worden sei. Bei einem späten Behandlungsbeginn gehe es oft um Gefühle von Scham und Schuld, dass es zu einer Infektion gekommen ist. Wichtig seien daher im doppelten Sinne „positive Rollenvorbilder“, die auch Platz für lebensfrohe Menschen (mit und ohne Beeinträchtigungen durch HIV) lassen.

Darüber hinaus müssten Ärztinnen und Ärzte für Symptome der HIV-Infektion sensibilisiert werden, denn das Denken in „Risikogruppen“ sei bei ihnen noch weit verbreitet. Sprich: Wenn der Patient oder die Patientin keiner Gruppe mit erhöhtem HIV-Risiko zugerechnet wird (z. B.schwule Männer), werden Krankheitszeichen oft nicht richtig gedeutet. Hier empfiehlt die Studie handhabbare Indikatorenlisten und eine Handreichung zu den Hintergründen von Spätdiagnosen.

(Corinna Gekeler/hs)

Nun liegt auch eine englische Kurzfassung vor.