Tschechien: 30 HIV-positive Männer angezeigt

Die Prager Gesundheitsbehörde hat Strafanzeige gegen 30 HIV-Positive Männer erstattet. Sie sollen ungeschützten Sex praktiziert und sich dadurch der Verbreitung einer ansteckenden Krankheit schuldig gemacht haben. Ihnen drohen nun Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren.

Die beschuldigten schwulen Männer hatten sich im zurückliegenden Jahr mit einer oder mehreren sexuell übertragbaren Infektionen angesteckt. Daraus schließt die Behörde, dass sie Sex ohne Kondom hatten. Die Tschechische Aidshilfe hat mit Entsetzen auf die für Europa ausnahmslose Aktion reagiert und diese Form der Diskriminierung von Menschen mit HIV verurteilt.

„Einige der beschuldigten Männer nehmen nun die Rechtsberatung der Aidshilfe in Anspruch“, erklärte Tomáš Rieger, Mitglied im Vorstand der Tschechischen Aidshilfe gegenüber der Deutschen AIDS-Hilfe. Laut Rieger seien die Männer mehrheitlich unter HIV-Therapie, ihre Viruslast liege unter der Nachweisgrenze. Sie seien also faktisch nicht infektiös. Manche von ihnen praktizierten Serosorting, hätten also nur Sex mit anderen HIV-positiven Männern. In einer Presseerklärung und in Interviews wies die Tschechische Aidshilfe zudem darauf hin, dass Geschlechtskrankheiten wie Tripper oder Syphilis auch beim Sex mit Kondom übertragen werden können.

„Durch die Anwendung des Strafrechts auf HIV-Infektionen wird die Virusverbreitung nicht reduziert. Vielmehr werden so die Bemühungen der HIV-Prävention untergraben sowie Angst und Stigma verstärkt“, betonte Tomáš Rieger. Statt sich den tatsächlichen Herausforderungen der HIV-Prävention zu stellen, bestrafe man in der Tschechischen Republik nichtkriminelle Handlungen.

Durch die Strafanzeigen habe das Vertrauen der HIV-Positiven in das staatliche Gesundheitssystem Schaden genommen, so Rieger weiter. Zugleich sei die Vertraulichkeit verletzt worden, weil das Prager HIV-Zentrum die Gesundheitsbehörde über die sexuell übertragbaren Infektionen seiner Patienten informiert habe. Hinzu komme, dass schwule HIV-Positive öffentlich stigmatisiert worden seien.

Eine wachsende Zahl nationaler und internationaler Organisationen und Institutionen im HIV/Aids-Bereich haben mittlerweile gegen die Aktion der Prager Behörden protestiert, darunter die Tschechische Aids-Gesellschaft und das HIV Justice Network. Am heutigen Dienstag wurde außerdem auf change.org die Petition „Stop the persecution of people with HIV in the Czech Republic!” der European AIDS Treatment Group (EATG) veröffentlicht.

Die Deutsche AIDS-Hilfe kritisiert die Anzeigen ebenfalls scharf. In einer ersten Stellungnahme erklärt Sprecher Holger Wicht:

„Wie die tschechischen Behörden mit HIV-positiven Menschen umgehen, ist erschütternd und darf auf keinen Fall Schule machen. Die Anzeigen sind schwer diskriminierend und basieren in vielfacher Hinsicht auf einer fachlichen Fehleinschätzung: Unter gut wirksamer Therapie ist eine HIV-Übertragung so gut wie ausgeschlossen. Geschlechtskrankheiten sind kein Beweis dafür, dass jemand Sex ohne Kondom hatte. Und nicht zuletzt: Strafrechtliche Sanktionen verhindern keine HIV-Infektionen. Im Gegenteil: Wer Angst vor einer Anzeige haben muss, wird vom Arztbesuch abgeschreckt. Die Maßnahme leistet darum der Verbreitung von HIV und anderen Geschlechtskrankheiten Vorschub. Heute ist ein schwarzer Tag für die HIV-Prävention in Tschechien.“

(ascho)