Der 10. Oktober 2010 – ein guter Tag für Serbien!

Am vergangenen Sonntag fand in Belgrad unter großem Polizeieinsatz eine Demonstration von Schwulen und Lesben statt, bei der es zu massiven Ausschreitungen von Gegendemonstranten aus dem rechtsextremen und christlich-konservativen Lager kam. Wir freuen uns über einen Gastkommentar von Volker Beck, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Die erste öffentliche Demonstration für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgendern in Belgrad war ein großer Erfolg. Rund 1000 Menschen haben Mut bewiesen und Gesicht gezeigt – und das angesichts massiver Gegendemonstrationen der Rechts-Nationalen. Ein guter Tag für Serbien!

Ein guter Tag? Kann man von einem Erfolg sprechen, wenn jedem Schwulen und jeder Lesbe zehn Neonazis gegenüber standen? Wenn mehrere hundert Menschen verletzt wurden und über 5000 Polizisten den CSD schützen mussten? Ja – man kann und man muss! Der serbische Rechtsstaat und die serbische Demokratie haben sich bewährt. Statt Verbote auszusprechen, hat sich die Polizei schützend vor die Lesben und Schwulen gestellt – das ist eine neue Qualität. Damit macht Serbien deutlich, dass es eine europäische Demokratie sein möchte!

Zwanzig Jahre nach dem Ende der kommunistischen Diktaturen tut sich was im Näheren Osten. In vielen ost-europäischen Metropolen fanden in diesem Jahr erstmalig öffentliche Demonstrationen für die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgendern statt. Für manchen Beobachter aus dem Westen stellt sich ein Déjà-vu ein: Ost-Europa erlebt in diesen Monaten eine nachholende Entwicklung. In New York, San Franzisco, Berlin oder Madrid stellten sich in den siebziger und achtziger Jahren mutige Menschen gegen eine homophobe und zum Teil staatlich-repressive Gesellschaft. Gerade dreißig Jahre sind vergangen – und in vielen dieser Städte ist offen gelebte Homosexualität eine Selbstverständlichkeit.

In den Metropolen Ost-Europas - Vilnius, Belgrad, Bratislava, Minsk (!), Moskau, St. Petersburg, Warschau – wiederholt sich Geschichte jetzt im Zeitraffer. Die polnische Hauptstadt ist dabei das Vorbild für viele der OrganisatorInnen der GayPride-Märsche: In den Jahren 2004 und 2005 wurde die Gleichheitsparade vom damaligen Bürgermeister verboten. Das polnische Verfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben diese Verbote als rechtswidrig aufgehoben. In den folgenden Jahren folgten dann immer mehr Menschen den Aufrufen der OrganisatorInnen und in diesem Jahr konnten über 10.000 Menschen friedlich und fast ungestört von Rechtsradikalen den Euro-Pride in Warschau feiern. Unterstützung finden die Schwulen, Lesben und Transgender dabei vor allem in der links-alternativen und pro-europäischen Szene Warschaus. Und auch dies ist allen ost-europäischen Bewegungen gemeinsam: Der Kampf um die Rechte von Homosexuellen wird stellvertretend für generelle Toleranz und Europäisierung der ost-europäischen Staaten geführt.

Die Antwort auf die Krawallszenen von Belgrad darf keine Ablehnung des Aufnahmeanliegens der Serben in die Europäische Union sein! Manch einer befürchtet, dass mit der Aufnahme weiterer osteuropäischer Staaten das progressive Profil Europas verwässert. Das Gegenteil ist richtig: Gerade die europäische Perspektive schützt die Anliegen der Demonstranten. Betrachtet man die CSD-Saison in diesem Sommer, so fällt eines auf: Während die CSDs in Minsk, Moskau und St. Petersburg verboten wurden, fanden alle CSDs innerhalb der Europäischen Union statt. In Bratislava und Vilnius wurden Verbote von Gerichten gekippt und die Demonstranten von der Polizei geschützt – in Moskau und Minsk war es wieder einmal andersherum. Auch in Belgrad war der Wunsch, „europäisch“ zu sein, ausschlaggebend für die Genehmigung und den Schutz des Pride-Marsches.

Sichtbarkeit provoziert – auch Widerstand. Der massive Aufmarsch von Rechtsradikalen und orthodoxen Geistlichen in Vilnius, Belgrad oder Bratislava zeigt, dass auch die Gegenseite weiß, was die Stunde geschlagen hat. Der Rückzug in die Anonymität ist aber keine Alternative. Vorurteile und Klischees entstehen durch Fremdheit – und Gewalt speist sich oftmals aus der Angst vor den Unbekannten. Hartnäckigkeit und Ausdauer sind gefragt – und unsere Solidarität!

(Volker Beck)