Stoppt die Schlammschlacht um die Substitutionsbehandlung!

Eine Website mit „Tipps und Tricks“ für Substituierte und angeblich zu laxe Kontrollen in Hamburg: Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, kommentiert den Streit um die Substitution:

Methadonliste-Hamburg.de: Unter dieser Adresse können sich Substituierte über Ärzte, Konsum, Sucht und die Substitution in Hamburg austauschen. Dass dort auch „Tipps und Tricks“ zu finden sind, wie man zum Beispiel bei Urinkontrollen auf Beikonsum „schummelt“, nahm der in Kiel ansässige Dachverband substituierender Ärzte Deutschlands e. V. (DSÄ) in Person von Dr. Rempel zum Anlass, die in Hamburg praktizierte Substitutionsbehandlung auf das Schärfste als zu lax zu kritisieren und den Hamburger Akteuren Gesetzesverletzungen vorzuwerfen.

Dies ist ein neuer Ton innerhalb der Suchtmedizin. Ich meine: Der Dachverband substituierender Ärzte erweist allen, die sich um eine qualitativ hochwertige Substitution bemühen, einen Bärendienst – und gießt Wasser auf die Mühlen all jener, welche die Substitutionsbehandlung überaus kritisch sehen oder ablehnen. Selbstverständlich gilt es, die Zahl der von Herrn Rempel angeführten „Mischvergiftungen mit Todesfolge“ – Opfer von Drogentodesfällen, bei denen auch die Einnahme von Substitutionsmitteln festgestellt wurde – zu reduzieren. Verbalattacken und Schnellschüsse sind allerdings wenig hilfreich, ein so ernstes Thema fachlich zu diskutieren.

Möglicherweise ist der Hintergrund ein anderer. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass Rempels Kritik an der angeblich zu laxen Hamburger Substitutionspraxis auf einer Linie mit seinen bisherigen Bemühungen liegt, das Mittel Suboxone® als angeblich überlegenes Substitutionsmittel anzupreisen, weil es für Menschen, die nicht an Opiate gewöhnt sind, keine Gefahr darstelle. Zu Methadon dagegen sagt er, es könne „missbräuchlich wie eine süchtig machende Droge verwendet werden".

Nun fällt jedem auf, dass es in Verbindung mit Methadon/Polamidon in der Tat mehr Drogentodesfälle gibt als in Verbindung mit Subutex/Suboxone. Allerdings ist diese Diskrepanz aufgrund der deutlich unterschiedlichen Marktanteile (ca. 80 Prozent für Methadon/Polamidon, 19 Prozent für Buprenorphin und 0,8 Prozent für Suboxone) auch nicht überraschend.

Eine 2011 vom Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung Hamburg (ZIS) abgeschlossene Studie zum nichtbestimmungsgemäßen Gebrauch von Substitutionsmitteln zeigt außerdem (Abbildung 4), dass (unter Einbeziehung der Marktanteile) Substitutionsmedikamente in Tablettenform (Methaddict, Buprenorphin und Suboxone) häufig nicht bestimmungsgemäß konsumiert werden und auf dem Schwarzmarkt sehr beliebt sind. Auch die Equator-Studie (European Quality Audit of Opioid Treatment) zur Substitution in zehn europäischen Ländern zeigt, dass alle zur Substitution eingesetzten Substanzen in nennenswertem Umfang in den Schwarzmarkt gelangen.

Warum aber kommt es überhaupt zum nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch von hoch wirksamen Substitutionsmitteln durch substituierte und nicht substituierte Patienten? Das ist doch die Frage, die wir uns stellen müssen, wenn wir den Schwarzmarkthandel einschränken und die Zahl der Drogentodesfälle in Verbindung mit Substituten senken wollen.

Aufschluss geben die vom ZIS erhobenen Daten: Jeder fünfte Befragte gab an, dass die verabreichte Dosis zu niedrig sei. Und aus der Praxis wissen wir, dass in vielen Praxen und Ambulanzen nach dem Grundsatz „so wenig wie möglich“ verfahren wird, was von mangelndem Verständnis der Substitutionsbehandlung zeugt: Die Devise muss doch „So viel wie nötig“ heißen.

Sorgen bereiten muss zudem folgende Zahl: Über 30 Prozent der nicht substituierten Befragten gaben an, dass sie eigentlich für eine Behandlung bereit wären, aber aus unterschiedlichen Gründen keinen Arzt finden. Die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen der Zahl der tatsächlich substituierenden Ärzte und der substituierten Patienten ist bereits vielfach angemerkt und diskutiert worden – bisher ohne jeglichen Erfolg.

Hier liegen die wirklichen Probleme der Substitutionsbehandlung in Deutschland, nicht in einer angeblich „zu laxen“ Praxis. Die vom Dachverband der substituierenden Ärzte initiierte „Diskussion“ trägt nichts zur Lösung der Probleme bei, sondern beschädigt die lebensrettende und zudem wirksamste Form der Therapie bei Drogenabhängigkeit. Im Interesse einer optimal auf die Lebenssituationen und Bedürfnisse der Patienten zugeschnittenen Substitutionsbehandlung brauchen wir auch weiterhin die Vielfalt der eingesetzten Substanzen mit unterschiedlichen pharmakologischen Eigenschaften, die in Zukunft durch retardierte Morphine (wie in Österreich und Slowenien) noch erweitert werden könnte.

Wir sollten schnellstens zu einer sachlichen und fachlichen Diskussion zurückkehren und die Schlammschlacht um die Substitution beenden – auch und gerade im Sinne der Patienten, um die es dabei schließlich geht.

Dirk Schäffer

 

Weitere Informationen:

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin vom 24.05.2012

Bericht auf aerztezeitung.de vom 21.05.2012

Meldung des Dachverbands substituierender Ärzte Deutschlands e.V, vom 18.05.2012