Prof. Dr. Rockstroh im DAH-Interview zu neu entdeckten HIV-Antikörpern

Mehr als 25 Jahre sind nach der Identifizierung des HI-Virus vergangen, das weltweit für 30 Millionen Todesfälle verantwortlich gemacht wird. Bisher ist es aber nicht gelungen, einen Impfstoff zu entwickeln. Der Grund: Weil HIV sich rasant vermehrt und dabei immer wieder Fehler passieren, entstehen ständig Virusmutationen mit veränderten Eiweißen auf der Oberfläche. An solche Proteine aber „docken“ vom Immunsystem gebildete Antikörper an, welche die Immunantwort verstärken.

Ein US-amerikanisches Forscherteam hat nun hochwirksame HIV-Antikörper im Blut eines Infizierten identifiziert. Über die Bedeutung dieser Entdeckung sprach Jörg Litwinschuh mit Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, dem Präsidenten der Deutschen AIDS-Gesellschaft:

Professor Rockstroh, was ist das Besondere an der Entdeckung Ihrer amerikanischen Kollegen?

Rockstroh: Dadurch, dass HIV fortlaufend die Proteine auf seiner Oberfläche verändert, entgeht das Virus immer wieder der körpereigenen Immunabwehr. Diese Eigenschaft macht es ausgesprochen schwer, einen geeigneten Impfstoff zu finden. Das Besondere an den nun isolierten zwei Antikörpern ist, dass sie sich gegen Stellen auf der Virusoberfläche richten, die sich bei fast allen bekannten HIV-Stämmen nur wenig unterscheiden und offensichtlich eben auch nur wenig ändern, sodass hier gezielt das Eindringen des Virus in die Wirtzelle verhindert werden kann. Damit unterscheiden sich diese Antikörper deutlich von Antikörpern, die der Körper als Reaktion auf die bisher erforschten Impfstoffe produziert, und lassen Hoffnung aufkommen.

Wie hat man diese Antikörper entdeckt?

Rockstroh: Indem man sich gezielt mit Patienten beschäftigt hat, deren Körper die HIV-Erkrankung seit Jahren ohne Behandlung in Schach halten. Man versucht also, Mechanismen zu kopieren, die für diesen günstigen Verlauf verantwortlich sind, um sie in Zukunft auch anderen Patienten zur Verfügung zu stellen, die selber solche Antikörper nicht aufbauen können.

Und wie genau wirken diese Antikörper?

Rockstroh: Sie blockieren eine Stelle, mit der HIV an den sogenannten CD4-Rezeptor auf der Oberfläche menschlicher Zellen andockt, und machen so das Virus unschädlich. Eine Bindung an den CD4-Rezeptor ist für HIV nämlich unbedingt erforderlich, um in die Zellen eindringen zu können. Wird dieses Eindringen geblockt, kann sich HIV dann nicht mehr in der Zelle vermehren, und es werden keine weiteren Zellen durch neu gebildete Viren infiziert.

Wie sieht es eigentlich generell in der Impfstoffforschung aus? Wer forscht in Deutschland, wer ist weltweit führend?

Rockstroh: In Deutschland gibt es eine ganze Reihe von Gruppen, die sich mit HIV-Impfstoffen beschäftigen. Hierzu gehören sowohl Forscher vom Robert Koch-Institut als auch die Arbeitsgruppe um Prof. Wagner aus Regensburg, um nur einige Beispiele zu nennen. Darüber hinaus gibt es aber natürlich auch viele andere Forschungsstellen und Programme, etwa ein großes von Europa finanziertes HIV-Impfstoff-Programm oder auch entsprechende Bemühungen aus den USA, insbesondere aus der obersten Forschungsbehörde, dem NIH, aber auch durch IAVI, die internationale HIV-Impfstoff-Initiative, und die Gates-Stiftung.

Litwinschuh: Wann rechnen Sie mit einem Impfstoff gegen HIV?
Rockstroh: Nun, ich habe schon zu viele Rückschläge bei der Impfstoffentwicklung gesehen, um jetzt in Euphorie auszubrechen. Immer wieder sind Impfungen versprochen worden, die dann doch nicht die Erwartungen erfüllen konnten. Andererseits wurde im letzten Jahr ein thailändischer Impfstoff vorgestellt, der zumindest eine knapp 30%ige Senkung des Übertragungsrisikos mit sich brachte. Insofern glaube ich, dass die Ergebnisse der zuletzt vorgestellten Impfstudien, aber auch diese neuen Grundlagenergebnisse Hoffnung machen, dass wir zumindest in diesem Jahrhundert einen Impfstoff bekommen werden. Wann genau, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht sicher sagen.