6. Sexarbeiter*innen müssen besser erreicht werden

Voraussetzung für die Gesundheitsförderung von Sexarbeiter*innen ist, dass sie von Unterstützungsmaßnahmen und gesundheitlichen Angeboten erfahren und sowohl in der Lage als auch gewillt sind, die Angebote in Anspruch zu nehmen – kurz gesagt: dass Sexarbeiter*innen erreicht werden. Verschiedene strukturelle Faktoren (beispielsweise kriminalisierende Gesetze oder eine Pandemie wie COVID-19) können dies beeinträchtigen, etwa weil die bestehenden Kontakte zwischen Ratsuchenden und Angeboten abbrechen. Bei manchen Sexarbeiter*innen kommen Vulnerabilitätsfaktoren erschwerend hinzu: Illegalisierung (insbesondere als Mensch ohne Papiere), finanzielle Prekarität und dadurch verringerte (Zeit-)Ressourcen, Sprachbarrieren, Analphabetismus etc.

In den Fokusgruppen wurden mehrere Merkmale von Angeboten als förderlich beschrieben. Daraus leiten wir Empfehlungen für Einrichtungen ab, die für Sexarbeiter*innen Angebote machen (insbesondere im Bereich der Gesundheit):

  • Bundesweit flächendeckende Angebote aufsuchender Beratung sowie mobile Angebote (beispielsweise HIV/STI-Tests).
  • Arbeit auf Augenhöhe mit Peer-Multiplikator*innen (Sexarbeiter*innen, die in ihren Communitys als Wissensvermittler*innen fungieren) mit der Möglichkeit, Aufwandsentschädigungen zu zahlen.
  • Aufsuchende Angebote und flexible Öffnungszeiten von Einrichtungen, die sich an den Bedarfen der Zielgruppen orientieren (beispielsweise Abendangebote in Gesundheitsämtern und Beratungsstellen) und Sprechstunden ohne Termin.
  • Einrichtungen sollten deutlich hervorheben, dass Angebote anonym in Anspruch genommen werden können, sodass auch Menschen sie nutzen können, die illegalisiert sind. Gegebenenfalls muss auch die Unabhängigkeit der Angebote von Gesetzen wie dem Prostituiertenschutzgesetz betont werden, damit Sexarbeiter*innen diese nutzen.
  • Mehrsprachige medizinische und Beratungsangebote sowie mehrsprachiger Internet-Auftritt.
  • Kooperationen auf lokaler Ebene zwischen Gesundheitsämtern, Fachberatungsstellen (insbesondere in den Bereichen Sexarbeit, Sucht und Menschenhandel), Aidshilfen und Peer-Projekten zum gegenseitigen Wissenstransfer, zur Bekanntmachung der Angebote bei den jeweiligen Klient*innen sowie zur Gestaltung von gemeinsamen Angeboten wie Informationsveranstaltungen. Staatliche Stellen müssen sich hierbei der Wahrung von Anonymität verpflichten.
  • Attraktive Angebote schaffen, zum Beispiel PrEP und HIV-Therapie für Menschen ohne Krankenversicherung, zielgruppenspezifische Räume für Selbsthilfe und mobile HIV/STI-Testangebote.