Forschungsprojekt: Gesundheitliche Bedarfe von Sexarbeiter*innen

Inhalte und Ziele

Hintergrund und Fragestellungen

Weltweit haben Sexarbeiter*innen ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren [1]. Zu den Faktoren dafür zählen unter anderem die anhaltende (häufig Mehrfach-)Stigmatisierung und Diskriminierung, die Kriminalisierung von Sexarbeit (und ggf. die Behandlung von Kondomen als Beweismitteln für die Ausübung von Sexarbeit) und Gewalterfahrungen. Gleichzeitig haben viele Menschen in der Sexarbeit weltweit nur einen unzureichenden Zugang zu Gesundheitsleistungen, zum Beispiel, wenn sie keine Krankenversicherung haben. Über die Situation in Deutschland liegen bisher allerdings nur wenig wissenschaftlich fundierte Kenntnisse vor. 

Mit der qualitativen Studie „Sexuelle Gesundheit und HIV/STI-Präventionsstrategien und -bedarfe von Sexarbeitenden“ will die Deutsche Aidshilfe zum besseren Verständnis der diversen Erfahrungen von Sexarbeitenden in Deutschland beitragen. Dafür kommen Sexarbeitende mit unterschiedlichen (z.B. biografischen, sozioökonomischen oder soziokulturellen) Hintergründen, mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und aus unterschiedlichen Lebens- und Arbeitskontexten im Rahmen von Fokusgruppen zu folgenden Themen ins Gespräch:

  1. Was brauchen Sexarbeitende und welche Strategien wenden sie an, um ihre Gesundheit zu erhalten? Wie gehen bzw. gingen Sexarbeitende mit den Veränderungen durch das im Juli 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz um, wie mit den Veränderungen durch die Covid-19-Pandemie?
  2. Welche Präventions-, Test- und Versorgungsangebote werden von Sexarbeitenden genutzt und wie? Welche Zugangshürden bestehen und welche Bedarfe werden von den bestehenden Angeboten nicht (ausreichend) gedeckt? 
  3. Welche Bedarfe und Hürden gibt es bei unterschiedlichen Gruppen von Sexarbeitenden hinsichtlich der Nutzung der HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) als Safer-Sex-Methode? 

In die Studie sollen die Erfahrungen von möglichst verschiedenen Menschen in der Sexarbeit einfließen, um unterschiedliche Bedarfe und Bedürfnisse von Sexarbeitenden zu erfassen. 

Nutzen des Projekts

Die Ergebnisse sowie Handlungsempfehlungen aus dem Projekt sollen in wissenschaftlichen Artikeln und in einer Broschüre sowie online veröffentlicht werden. Die Forschungserkenntnisse sollen auf verschiedenen Ebenen eine positive Wirkung haben:

  1. Sexarbeitende lernen mehr über die verschiedenen Bedarfe ihrer Communitys und können ihre Forderungen in Bezug auf Gesundheit besser artikulieren und belegen
  2. Präventionsangebote für Sexarbeitende können gemäß den zum Ausdruck gebrachten Bedarfen der verschiedenen Zielgruppen verbessert, die Entwicklung neuer Angebote kann von den Projektergebnissen unterstützt werden 
  3. Faktenbasierte Empfehlungen an die Politik sollen zur Etablierung von Strukturen beitragen, welche die Gesundheit, die Lebens- und die Arbeitsbedingungen von Sexarbeitenden verbessern. Außerdem können die Forschungsergebnisse zur Evaluation des Prostituiertenschutzgesetz beitragen.

Die Fokusgruppen

Die Studie folgt einem qualitativen Forschungsdesign. Fokusgruppen mit unterschiedlichen Sexarbeiter*innen-Gruppen sind durchgeführt worden. Fokusgruppen sind Kleingruppen, die durch einen Informationsinput und eine offene Moderation zur Diskussion über bestimmte Themen angeregt werden.

Die Peer-Forschende

Am Projekt arbeiten Peer-Forschende mit. Sie spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Akquise der Fokusgruppen-Teilnehmenden, der Moderation der Fokusgruppen und der vor-Ort-Anbindung. Außerdem können sie die Fokusgruppen mitauswerten. Sie sind selbst Sexarbeitende und/oder sie sind sozialarbeiterisch bzw. beratend mit einer lokalen Gruppe von Sexarbeitenden engagiert und haben z. B. aufgrund ihrer Muttersprache einen besonderen Bezug zu den Gruppenmitgliedern. Sie nehmen an einem Vorbereitungs- und Schulungswochenende sowie an einem Auswertungstreffen teilgenommen.

Zusammensetzung und Ablauf der Fokusgruppen

Von Oktober 2022 bis April 2023 haben die Gruppendiskussionen an verschiedenen Orten in Deutschland stattgefunden. Um die vielfältigen Erfahrungen von migrantischen Sexarbeitenden bestmöglich in das Projekt einfließen zu lassen, haben die Fokusgruppen in unterschiedlichen Sprachen stattgefunden. Folgende Fokusgruppen sind zustande gekommen:

  • Female Escorts
  • BIPoC-Sexarbeiterinnen
  • Trans* Sexarbeiter*innen
  • Transfrauen aus Lateinamerika
  • Male* Escorts
  • Bulgarische Sexarbeiter*innen
  • Thailändische Sexarbeiter*innen
  • Sexarbeiterinnen mit illegalisiertem Substanzkonsum
  • Sexarbeiter*innen mit Behinderung bzw. chronischer Krankheit
  • Junge bulgarische Männer*

Die Gruppen-Diskussionen wurden akustisch aufgenommen, transkribiert und die Transkriptionen wurden ggf. ins Deutsche übersetzt. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgt anonymisiert. Personenbezogene Daten und alle Äußerungen, aus denen Rückschlüsse auf Personen gezogen werden könnten, werden durch Pseudonyme oder Umschreibungen so bearbeitet, dass die Anonymität der Personen gewahrt bleibt. Teilnehmende an den Fokusgruppen haben eine Aufwandsentschädigung von 100 € erhalten. 

Die Fokusgruppen werden nun mit den Peer-Forschenden und dem Projektbeirat partizipativ ausgewertet. Auf Basis der Ergebnisse werden Handlungsempfehlungen entwickelt und ggf. weitere Forschungsbedarfe formuliert.

Der Projektbeirat

Ein Beirat, der aus Community-Vertretenden, Wissenschaftler*innen sowie Akteur*innen aus der Fachpraxis besteht, war an der Weiterentwicklung des Forschungsdesigns aktiv beteiligt und begleitet das Projekt über die ganze Laufzeit methodisch und fachlich. Die Beirät*innen sind:

  • Maia Ceres, Sexarbeiterin, Gesundheitsberaterin des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD)
  • Dr. Johanna Claass, Ärztin und Leiterin der Beratung §19 IfSG sowie der Beratung §10 ProstSchG in Hamburg
  • Giovanna Gilges, Vorstand der Gesellschaft für Sexarbeits- und Prostitutionsforschung (GSPF)
  • Gudrun Greb, Geschäftsführerin ragazza e.V. und Vorständin des BufaS e.V.
  • Olivia Green, Sexarbeiterin, Mit-Koordination The Black Sex Workers Collective, Mitglied FAU Sexworker Section (Union)
  • Dr. Klaus Jansen, stellv. Leiter des Fachgebiets für HIV/AIDS und andere sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen, Robert Koch-Institut
  • Stefanie Klee, Sexarbeiterin und Vorstand des Bundesverbandes Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD)
  • Ursula Probst, Sozial- und Kulturanthropologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin (post-doc) am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie, Freie Universität Berlin
  • Navina Sarma, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut
  • Caspar Tate, Mitglied von Trans*Sexworks
  • Nadja Zillken, Referentin für Frauen und weibliche Sexarbeit bei der Deutschen Aidshilfe und Beirätin des BufaS e.V.

Finanzierung und Laufzeit

Das Projekt wird durch das Bundesministerium für Gesundheit finanziert. Es ist am 1.04.22 gestartet und endet am 31.03.2024.

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Kontakt

Eléonore Willems, Projektleiterin

Deutsche Aidshilfe
Wilhelmstr. 138
10963 Berlin

Eléonore Willems, M.A. Politikwissenschaften, hat u.a. das partizipative Forschungsprojekt positive stimmen 2.0 begleitet. 

[1] Siehe z. B. UNAIDS, HIV and Sexwork, Human Rights Fact Sheet Series, 2021 (Kurzlink: https://t1p.de/vsjff) oder Beyrer, C. et al., An action agenda for HIV and sex workers, The Lancet, 2015, 385 (9964): 287–301 (Kurzlink: https://t1p.de/rcmif)