Geschlechtliche Vielfalt in der Beratung: trans* und non-binär

Die Infomappe richtet sich an Berater*innen in Aidshilfen.

Ratsuchende, die Fragen rund um HIV, Geschlechtskrankheiten und sexuellem Wohlbefinden haben, können sich an unsere Onlineberatung unter www.aidshilfe-beratung.de wenden.  

Dieses Kapitel soll einen kurzen Überblick geben, wie vielfältig geschlechtliche Identitäten sind, warum das für die HIV- und STI-Beratung relevant ist und wie wir die Beratung gendersensibler gestalten können.

In der Beratung geht es dabei in erster Linie um die Haltung: keine Vorannahmen treffen und verschiedene Lebensrealitäten mitdenken. Die ratsuchende Person ist Expert*in für ihre Identität. Eigene Denkmuster und Sprachgewohnheiten aufzubrechen ist ein Prozess, der Zeit und Übung braucht sowie die Bereitschaft, etwas zu ändern. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen, und den einen richtigen Umgang in der Beratung gibt es auch gar nicht. Dafür sind Menschen zu verschieden.

Die Genderbread Person: Aspekte der Identität

Die Genderbread Person (Abb. 1) zeigt, dass die sexuelle und geschlechtliche Identität sich aus verschiedenen Aspekten zusammensetzt, die sich unabhängig voneinander entwickeln und ändern können: Die sexuelle Orientierung kann sich ändern, ohne dass das Einfluss auf die geschlechtliche Identität nimmt. Das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht bestimmt nicht, wie eine Person sich identifiziert oder zu wem sie sich romantisch hingezogen fühlt. Für die Beratung bedeutet diese Tatsache, dass uns das sexuelle Begehren einer Person nichts darüber verrät, wie diese Person sich identifiziert und mit welchem Körper oder welchen Körperteilen sie lebt, liebt und sexuell aktiv ist. Eine tiefe Stimme am Telefon verrät uns nichts darüber, welche Personalpronomen eine Person verwendet oder wie sie Sex hat.

Abb. 1: Luca Siemens unter Verwendung einer Vorlage von Sam Killermann, https://www.itspronouncedmetrosexual.com/genderbread-person (creative commons/no copyright).

Hetero- und Cis-Normativität

Häufig denken wir die unterschiedlichen Aspekte rund um sexuelle und geschlechtliche Identität, die die Genderbread Person auffächert, nicht unabhängig voneinander. Die heteronormative Gesellschaft vermittelt uns, dass Geschlechtsidentität und Begehren miteinander zusammenhingen: Wenn wir Menschen begegnen, gehen wir erst einmal davon aus, dass sie cis und heterosexuell sind – wobei in der Aidshilfe-Arbeit schon ein Bewusstsein für sexuelle Vielfalt vorhanden ist.

Cis-Normativität ist sogar noch deutlich mehr verbreitet als Heteronormativität: Wir gehen bei einer Person zunächst davon aus, dass sie cis ist, sich also mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Infrage stellen wir diese Vorannahme oft erst dann, wenn es zu Irritationen kommt, weil zum Beispiel einzelne Informationen zur sexuellen oder geschlechtlichen Identität einer Person vermeintlich nicht zusammenpassen.

Beispielbox

Eine Person, die sich mit weiblichem Namen für eine Beratung anmeldet und dann mit Vollbart und sehr tiefer Stimme bei uns auftaucht, kann eine Irritation auslösen, welche dazu führt, dass wir unsere Vorannahmen infrage stellen. Eine Person, die in der Telefonberatung mit hoher Stimme spricht und sich als lesbisch identifiziert, kann uns irritieren, wenn sie von ihrem Penis spricht.

Dass wir Menschen in Kategorien einordnen, passiert oft unbewusst und ist erst einmal gar nichts Schlimmes. Ganz im Gegenteil, wir brauchen Kategorien, um uns in unserer Umgebung zu orientieren. In der Beratung sollten wir uns bewusst sein, dass wir mit unserer Einordnung nicht immer richtigliegen, und bereit sein, die Kategorien zu wechseln oder aufzubrechen. Wenn wir darauf eingestellt sind, dass unsere Vorannahmen vielleicht nicht stimmen, stolpern wir weniger über Irritationen und können uns mehr auf die ratsuchende Person konzentrieren statt darauf, unsere eigenen Kategorien neu zu sortieren.