Mangel an HIV- und PrEP-Medikament: Der Bund muss jetzt handeln

Voraussichtlich bis März kann der Bedarf an der Wirkstoffkombination Emtricitabin plus Tenofovirdisoproxil nicht gedeckt werden. Die Deutsche Aidshilfe und andere Akteure fordern Maßnahmen der Politik.

Der Mangel am HIV-Medikament mit den Wirkstoffen Emtricitabin+Tenofovirdisoproxil (FTC+TDF) hat sich weiter verschärft. Die Folge: Nutzer*innen mussten ihre HIV-Prophylaxe PrEP schon unterbrechen, HIV-Therapien wurden umgestellt, weitere PrEP-Unterbrechungen und Therapieumstellungen sind zu befürchten. Dieser Mangel, der die HIV-Prävention und auch die HIV-Behandlung massiv gefährdet und beschädigt, dürfte bis März anhalten.

Massiver Schaden für die HIV-Prävention und -Behandlung

Das nimmt vielen der Menschen, die sich mit der PrEP vor HIV schützen – derzeit in Deutschland knapp 40.000 – ihre Safer-Sex-Methode und manchen Menschen mit HIV, die mit dem Medikament behandelt werden, ihre Therapie. Für sie kann eine Umstellung auf ein anderes Medikament mit erheblichen Problemen verbunden sein, etwa belastenden Nebenwirkungen, und sie lässt sich auch nicht leicht wieder rückgängig machen. Bei manchen Menschen mit HIV wird FTC+TDF im Rahmen einer sogenannten Salvage-Therapie („Rettungs-Therapie“) eingesetzt, weil es zum Beispiel aufgrund von Resistenzen keine anderen Optionen mehr gibt.

„Die PrEP ist ein wesentlicher Bestandteil der HIV-Prävention – wenn dieser Schutz vor HIV weiter ausfällt, wird das fatale Auswirkungen haben“, sagt Sven Warminsky vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe. Dass auch Therapien HIV-positiver Menschen nicht mehr gewährleistet sind, sei erst recht nicht hinnehmbar. „Die Politik darf Menschen, die dieses Medikament dringend brauchen, nicht im Stich lassen“, so Warminsky.

Runder Tisch zu Maßnahmen gegen den Engpass

Die Deutsche Aidshilfe (DAH), die ambulant tätigen HIV-Mediziner*innen (dagnä), die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG) und die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) haben sich mit Vertreter*innen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei einem digitalen Runden Tisch zum Engpass bei Emtricitabin und Tenofovirdisoproxils beraten. Das BfArM ist zusammen mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für Maßnahmen gegen Lieferengpässe zuständig.

Schnelle Reaktion des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte

Das BfArM hat zugesichert, Hersteller nach wirkstoffidentischen Medikamenten mit europäischer Zulassung im Portfolio zu fragen. Das Institut könnte dann deren Import nach den Paragrafen 10 und 11 des Arzneimittelgesetzes (AMG) gestatten und die Medikamente verfügbar machen.

Diese Lösung ließe sich relativ schnell umsetzen. Allerdings ist auch in den Nachbarländern nur begrenzt Ware auf dem Markt, in einigen Ländern wurden außerdem ebenfalls Engpässe gemeldet.

Die Teilnehmenden des Runden Tischs haben das BfArM darüber hinaus gebeten, beim Gesundheitsministerium auf die Feststellung eines Versorgungsmangels nach § 79 Abs 5 AMG hinzuwirken. Dies sei ein politisches Signal, um langfristig an der Versorgungssicherheit zu arbeiten, selbst wenn dieser Schritt nicht unmittelbar zu einer Verbesserung der Versorgungslage bis Anfang März beitragen sollte.

Einzelimporte sind möglich

Für Einzelimporte nach § 73 Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes (Import von Medikamenten, die keine EU-weite Zulassung haben) müssen Apotheken vorher die Genehmigung der jeweiligen Krankenkasse einholen. Das BfArM bittet deshalb den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen um eine dringende Empfehlung zur Übernahme der Kosten (sowie zur Erstattung des Originalpräparats, sofern dies verfügbar ist).

Die Deutsche Aidshilfe empfiehlt Patient*innen und PrEP-User*innen, ihre Ärzt*innen und Apotheker*innen auf die Möglichkeit von Einzelimporten aufmerksam machen, auch wenn es keine Erfolgsgarantie gibt.

HIV-PrEP-Engpass: Versorgungssicherheit gewährleisten!

Um langfristig die Versorgung mit dem einzigen in Deutschland zur HIV-Prophylaxe PrEP zugelassenen Medikament zu sichern, das außerdem auch in der HIV-Therapie eine wichtige Rolle spielt, muss nach Auffassung des Runden Tischs nun das Gesundheitsministerium tätig werden.

Das BfArM will unterdessen auf Vorschlag der Deutschen Aidshilfe dem Beirat für Lieferengpässe für seine Sitzung Ende Januar empfehlen, FTC+TDF wieder auf die Liste der versorgungskritischen Wirkstoffe aufzunehmen. Dies hätte zwar kurzfristig keine Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Medikaments, könnte aber – sollte der Lieferengpass auch dadurch verursacht sein, dass in Deutschland europaweit die niedrigsten Preise für die Generika bezahlt werden – eine Grundlage sein, um über eine Anhebung der Festbeträge zu diskutieren.

Weitere Informationen zum Engpass

Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Gesellschaft, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft HIV- und Hepatitis-kompetenter Apotheken und der Deutschen Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin vom 16. Januar 2024 (PDF-Datei)

Meldung auf aidshilfe.de vom 22. Dezember 2023