PrEP: Zugang für alle Menschen mit HIV-Risiko schaffen

Die medikamentöse HIV-Prophylaxe PrEP ist erfolgreich, ihr Potenzial jedoch bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Sie könnte noch mehr Menschen vor HIV schützen und zu einer Sexualität ohne Angst vor HIV beitragen. Es gilt, breiter zu informieren, strukturelle Barrieren zu beseitigen und Zugänge zu erleichtern.

PrEP schützt und entlastet

Die sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) ist ein zuverlässiger Schutz vor einer HIV-Infektion. HIV-negative Menschen nehmen dabei ein HIV-Medikament ein. HIV kann sich dann nicht mehr im Körper einnisten. Die PrEP kann dauerhaft oder für kurze Zeit zu bestimmten Anlässen eingenommen werden.

Für manche Menschen ist die PrEP der beste oder sogar der einzige praktikable Weg, sich vor HIV zu schützen. Manche kombinieren sie mit anderen Schutzmethoden oder entscheiden je nach Situation.

Es gibt verschiedene berechtigte Gründe, sich für die PrEP zu entscheiden. Sie ermöglicht, den Schutz vor HIV selbstbestimmt in die Hand zu nehmen und die volle Kontrolle zu behalten, unabhängig vom Verhalten der Partner*innen, den Umständen und dem emotionalen Geschehen in sexuellen Situationen. Sie bietet Schutz, wenn beim Kondomgebrauch etwas schiefgeht und erlaubt, wenn gewünscht, auf Kondome zu verzichten. Manchen Menschen ermöglicht zudem erst die PrEP eine Sexualität ohne Angst vor einer HIV-Infektion. So trägt die medikamentöse HIV-Prophylaxe auch zu einer erfüllten Sexualität und zum psychischen Wohlbefinden bei.

PrEP erreicht noch nicht alle

Für Menschen mit einem „substanziellen HIV-Risiko“ ist die PrEP seit September 2019 eine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Auch einige private Krankenversicherungen übernehmen die Kosten.

Die Einführung der PrEP als GKV-Leistung wurde vom Robert Koch-Institut evaluiert. Ergebnis: Die PrEP ist erfolgreich und verhindert zuverlässig HIV-Infektionen. Befürchtungen, dass andere sexuell übertragbare Infektionen zunehmen könnten, haben sich nicht bewahrheitet. Die PrEP erreicht allerdings noch nicht alle Menschen, die sie benötigen oder die davon profitieren könnten. Oftmals wissen Menschen laut Evaluation nicht genug über die PrEP oder haben zum Beispiel unnötige Ängste vor Nebenwirkungen.

Genutzt wird die medikamentöse Schutzmaßnahme bisher vor allem von schwulen und bisexuellen Männern. Anderen Menschen wird die PrEP meist auch nicht angeboten. Sie kommt aber prinzipiell für alle Menschen in Frage, die ein Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren. Eine RKI-Befragung von medizinischen HIV-Schwerpunkt-Einrichtungen sowie die Berichte lokaler Aidshilfe-Organisationen zeigen zudem weiße Flecken auf der Versorgungslandkarte abseits der Metropolen. Außerdem gibt es teils lange Wartelisten in PrEP-verschreibenden Praxen.

Solche Versorgungslücken und mangelndes Wissen sind ein großes Problem: Menschen, die sich vor HIV schützen möchten, müssen schnell und einfach bekommen, was sie dafür benötigen. Da die PrEP gerade für Menschen mit einem höheren HIV-Risiko geeignet ist, besteht hier eine besondere Dringlichkeit.

Das Potenzial der PrEP ausschöpfen

Das Potenzial der HIV-Prophylaxe ist noch lange nicht ausgeschöpft. Es könnten sich noch deutlich mehr Menschen mit der PrEP schützen, die Zahl der Neuinfektionen könnte dementsprechend geringer sein. Dafür gilt es, strukturelle Hemmnisse zu beseitigen, teilweise aber auch Barrieren in den Köpfen in Medizin, Prävention und Communitys abzubauen und neue Möglichkeiten zu eröffnen:

  • Der Adressat*innenkreis der PrEP sollte offener und flexibler gefasst werden. Nicht nur für Menschen mit sehr hohem HIV-Risiko beziehungsweise aus besonders stark von HIV betroffenen Gruppen kommt die PrEP in Frage.
  • Individuen und Ärzt*innen sollten im Einzelfall reflektieren, ob die PrEP eine geeignete Schutzmethode für die jeweilige Person ist.
  • Zugleich gilt es, eine Vielfalt niedrigschwelliger Zugänge zu schaffen, übers Medizinsystem, aber auch über communitynahe Einrichtungen für die am stärksten von HIV betroffenen Gruppen (z.B. Checkpoints, Beratungsstellen).
  • In der Kommunikation zur PrEP gilt es Hemmnisse auszuräumen, etwa die meist unbegründete Angst vor starken Nebenwirkungen.
  • Der psychische Nutzen sollte hervorgehoben werden, etwa dass die PrEP Ängste nehmen und zu einer entspannten Sexualität beitragen kann.
  • Die anlassbezogene Einnahme der PrEP gilt es zu stärken. Sie kann Hürden senken (etwa die Einnahme erleichtern, Ängste vor Nebenwirkungen nehmen) und so den Adressat*innenkreis erweitern.
    • In der Leitlinie zur PrEP-Behandlung muss die „intermittierende“ PrEP als gleichwertige Option festgeschrieben werden, damit Ärzt*innen sie leichter verordnen und empfehlen können.
    • In Prävention, Beratung und ärztlicher Versorgung sollte ein einheitliches leicht verständliches Einnahmeschema zur anlassbezogenen PrEP eingesetzt werden.
  • Der Stigmatisierung von PrEP-Nutzer*innen gilt es entgegenzuwirken, stattdessen sollte PrEP weiter als wirkungsvolle und selbstverständliche Schutzmethode etabliert werden.

PrEP-Versorgung sicherstellen

Ziel muss eine flächendeckende PrEP-Versorgung sein, die lange Wege und Wartezeiten für Interessierte und Nutzer*innen vermeidet. Unverzichtbar ist ein schneller und unkomplizierter Zugang zu Beratung, Verschreibung und ärztlicher Begleitung. Niemand sollte auf dem Weg von der Beratung zur Verordnung der PrEP „verloren gehen“, etwa weil die nächste Praxis schwer erreichbar ist oder lange Wartezeiten hat.

Hürden für Ärzt*innen müssen gesenkt werden. Bisher dürfen die PrEP auf einem Kassenrezept neben HIV-Spezialist*innen nur Ärzt*innen verschreiben, die eine Zusatz-Qualifikation nachweisen können; erforderlich ist eine Hospitation und eine Mindestanzahl bereits (unter Aufsicht) behandelter HIV- oder PrEP-Patient*innen. Diese hohen Hürden tragen zu Versorgungsengpässen jenseits der Metropolen bei. Die fachliche Qualifikation ließe sich auch auf leichtere Weise erreichen, zum Beispiel durch zertifizierte E-Learnings. Auf diese Weise könnten zum Beispiel mehr Hausärzt*innen die HIV-PrEP verschreiben (wie etwa bereits in Frankreich).

  • Um die Kapazitäten zu erhöhen, könnte die für die Verschreibung nötige PrEP-Beratung auch durch nicht-ärztliche Berater*innen erfolgen (z.B. in Fachberatungsstellen für Sexarbeiter*innen, Checkpoints von Aidshilfe-Organisationen etc.). Diese zusätzliche Aufgabe von Test- und Beratungsstellen, die das Gesundheitssystem entlasten würde, muss finanziert werden, sie darf Beratungseinrichtungen, die oft mit sehr wenigen Ressourcen arbeiten, nicht zusätzlich überlasten.
  • In einigen communitynahen Einrichtungen könnten auch die PrEP-Verordnung und die medizinische Begleitung selbst stattfinden. Dafür sollten einrichtungsbezogene Möglichkeiten zur Verordnung der PrEP als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen geschaffen werden, da die mitarbeitenden Ärzt*innen teilweise über keine Kassenzulassung verfügen oder die Einrichtung einer Nebenniederlassung für sie eine hohe Hürde bedeutet.
  • Anders als in der Startphase sollen die Kosten für die PrEP-Verordnung und die erforderlichen Begleituntersuchungen ab 2024 innerhalb der regulären Praxis-Budgets abgerechnet werden. Die Streichung von finanziellen Anreizen ist jedoch nicht angebracht, so lange die Versorgungslage nicht ausreichend ist.

Zugang für alle Menschen mit HIV-Risiko

Das Menschenrecht auf den „höchsten erreichbaren Stand an körperlicher und geistiger Gesundheit“ gebietet den PrEP-Zugang für alle, die diese Schutzmöglichkeit brauchen, unabhängig vom Aufenthalts- oder  Versichertenstatus.

Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis oder Krankenversicherung haben bisher keinen (ausreichenden) Zugang zur Gesundheitsversorgung, doch auch unter ihnen gibt es Menschen mit HIV-Risiko. Auch für sie muss es möglich sein, individuell abzuklären, ob die PrEP eine geeignete Schutzmethode ist. Und es muss niedrigschwellige, ermutigende Zugänge zur PrEP-Versorgung geben – insbesondere für marginalisierte Gruppen, zum Beispiel:

  • Menschen, die der Sexarbeit nachgehen, teilweise aufgrund ihrer prekären Lebenssituation ohne Kondome.
  • Menschen aus besonders stark von HIV betroffenen Gruppen (zum Beispiel schwule Männer oder intravenös Substanzen konsumierende Menschen, die auch sexuell ein erhöhtes Risiko haben können).

Für all diese Menschen muss die PrEP kostenlos an sicheren und leicht erreichbaren Orten angeboten werden. Dies selbstverständlich einschließlich medizinischer Untersuchungen auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen und gegebenenfalls Therapieangebote.

PrEP muss bei Bedarf auch Menschen in Haft zur Verfügung stehen. Das gilt vor allem mit Blick auf die sexuelle Übertragung von HIV. Bezüglich intravenösem Drogenkonsum bleibt die angezeigte Maßnahme die überfällige Vergabe von sterilen Spritzen und Konsumutensilien, die sowohl HIV als auch HCV-Übertragungen sicher verhindern und weitere Gesundheitsrisiken stark reduzieren. So lange aber keine sterilen Spritzen zur Verfügung stehen, könnte die PrEP aber HIV-Risiken zumindest reduzieren, auch wenn ihre Wirkung in diesem Kontext nicht ausreichend erforscht ist.

Noch immer erstatten viele private Krankenversicherungen die Kosten für eine PrEP nicht, nehmen PrEP-Nutzer*innen nicht auf oder benachteiligen sie bei den Tarifen. Das muss sich ändern: Die Nutzung der PrEP darf kein Nachteil sein, sondern verdient Respekt und Unterstützung.

Aufklärung zur PrEP ausweiten

Die PrEP ist als Schutzmethode noch zu wenig bekannt. Es ist Aufgabe von Prävention, Beratung und ärztlicher Begleitung, die PrEP unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten bekannter zu machen und Menschen den Weg zur PrEP aufzuzeigen.

  • Prävention sowie die medizinischen Beratungs- und Versorgungsstrukturen müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die PrEP allgemein und insbesondere in den besonders stark von HIV betroffenen Communitys bekannt, erreichbar und akzeptiert ist.
  • Mediziner*innen, insbesondere Hausärzt*innen, Gynäkolog*innen und Ärzt*innen für Haut- und Geschlechtskrankheiten, sollten HIV-Risiken verstärkt in der Anamnese und im Praxisalltag thematisieren und bei Bedarf die PrEP anbieten beziehungsweise an Fachkolleg*innen verweisen.
  • PrEP sollte in der reisemedizinischen Beratung angeboten werden. Viele HIV-Neuinfektionen auf heterosexuellem Wege betreffen Menschen, die Sex in Ländern haben, in denen HIV besonders häufig vorkommt.
  • Für Sexarbeiter*innen kann die PrEP ein (zusätzliches) Arbeitsschutzmittel sein und damit auch zur psychischen Entlastung beitragen. Die Verweise auf die Kondompflicht nach dem Prostituiertenschutzgesetz sind nicht zielführend: Unter Druck (etwa aufgrund von finanziellen Notlagen) verzichten manche Sexarbeiter*innen auf Kondome. In privaten Beziehungen verzichten manche auf Kondome, um den Unterschied zu ihren beruflichen Kontakten zu betonen. Sexarbeiter*innen sollten über die PrEP sachlich informiert werden und frei entscheiden können, ob sie diesen Schutz in Anspruch nehmen wollen.
  • Auch schwule und bisexuelle Männer wissen teilweise nicht genug von den Möglichkeiten der PrEP oder erfahren zu spät davon.
  • Nicht zuletzt werden PrEP-Nutzer*innen in ihren Szenen und von ihrem Umfeld teils noch immer stigmatisiert. Dem gilt es entgegenzuwirken.
  • Die Chancen der anlassbezogenen PrEP müssen in Prävention und Beratung stärker hervorgehoben werden. Für manche Menschen ist sie praktikabler oder eine dauerhafte Einnahme lohnt sich nicht, weil nur gelegentlich entsprechende sexuelle Kontakte stattfinden. Auch bei Angst vor Nebenwirkungen kann die „intermittierende PrEP“ eine Option sein. (Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine anlassbezogene Einnahme nicht funktioniert, wenn die Aufnahme von HIV über die Vaginalschleimhaut verhindert werden soll, weil die Wirkstoffe hier erst nach einiger Zeit in ausreichender Konzentration ankommen.)

FAZIT

Der Evaluationsbericht des Robert Koch-Instituts (Kurzbericht) bringt es auf den Punkt: „Um das Potenzial der PrEP als Präventionsmethode erschließen zu können, bleibt es wichtig, allen Personen mit Bedarf die PrEP zugänglich zu machen.“ Auch das Potenzial der PrEP zur Stärkung des sexuellen Wohlbefindens ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Es braucht also gemeinsame Anstrengungen von Politik, Medizinsystem, Prävention und Communitys. Schon die Einführung der PrEP hat enorme Anstrengungen gekostet. Der Erfolg war es wert – und er könnte noch viel größer sein.

Kurzbericht zur EvE-PrEP-Studie des RKI

Surveillance der Versorgung mit der HIV-Präexpositionsprophylaxe in Deutschland – Ergebnisse der halbjährlichen Befragung in HIV-Schwerpunkteinrichtungen

 

Weitere Informationen zur PrEP auf aidshilfe.de

Erstveröffentlichung und Stand dieses Positionspapiers: 23.3.2023