1. Präambel

Die im Folgenden vorgestellten Leitsätze der Deutschen Aidshilfe fassen Grundsätze, Werte und Haltungen zusammen, denen die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen der DAH-Mitgliedsorganisationen, der Landesverbände und der Bundesgeschäftsstelle sowie die Mitglieder der Verbandsgremien verpflichtet sind und an denen sie sich im Umgang mit den sich ständig verändernden Herausforderungen durch HIV und Aids orientieren.

Die Leitsätze wurden am 6.10.2007 von der DAH-Mitgliederversammlung verabschiedet; sie werden regelmäßig überprüft und gegebenenfalls an veränderte Bedingungen angepasst.

2. Unser Verband

Wir sind ein als Verein organisierter unabhängiger und nicht profitorientierter Verband autonomer Mitgliedsorganisationen - Aids- und Drogenhilfen, Präventionsprojekte, Schwulen- und Lesbenzentren, Wohn- und Pflegeprojekte -, die sich gemeinsam auf vielfältige Weise in der strukturellen Prävention und Interessenvertretung engagieren.

Aufgaben wie Aus-, Fort- und Weiterbildung, Fach-, Gremien-, Öffentlichkeits- und politische Arbeit sowie Selbsthilfeförderung auf Bundesebene sind dabei in unserer Bundesgeschäftsstelle angesiedelt. Die Mitarbeiter*innen in den Mitgliedsorganisationen leisten diese Arbeit vorwiegend auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene. Darüber hinaus haben sie in der täglichen Arbeit direkten Kontakt zu den Menschen aus unseren Zielgruppen und garantieren so die Authentizität, Lebensweltnähe und lokale Einbindung unserer Präventionsarbeit.

Unser Verband ist geprägt von der spannungsreichen und dynamischen Einheit von Selbsthilfe- und Präventionsorganisation, von Dach-, Fach- und Interessenverband. In unseren Mitgliedsorganisationen, Verbandsstrukturen und in der Bundesgeschäftsstelle ergänzen sich Betroffene und Solidarische, Ehrenamtliche und Hauptamtliche und bringen ihre je eigenen Motivationen, Erfahrungen, Sichtweisen und Fähigkeiten ein. Dabei gehören Selbsthilfe und Professionalität für uns zusammen: Eine wichtige Quelle unserer Fachkompetenz ist die Einbeziehung der Menschen aus unseren Zielgruppen und ihrer Netzwerke - zum Teil gehören wir selbst zu ihnen - sowie die enge Zusammenarbeit mit ihnen. Dies ermöglicht uns zugleich eine authentische Interessenvertretung.

3. Unsere Ziele

Unser Ziel ist, dass die Gesellschaft als Ganze und jede*r Einzelne informiert, selbstbestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV/Aids, Hepatitis und anderen sexuell und beim Drogenkonsum übertragbaren Infektionen umgehen kann. Das heißt im Einzelnen:

  • Wir wollen Menschen dazu befähigen und es ihnen ermöglichen, in möglichst vielen Situationen sich selbst und andere schützen zu können und zu wollen.
  • Wir wollen Menschen mit HIV/Aids und Hepatitis dazu befähigen und es ihnen ermöglichen, ihr Recht auf Selbstbestimmung, Teilhabe und Solidarität umfassend zu verwirklichen.
  • Wir wollen, dass Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport wie auch die Subkulturen, Szenen, Familien, Freund*innen und Partner*innen verantwortungsvoll und solidarisch mit den Bedrohten und Betroffenen umgehen.

4. Selbsthilfe

Wir kommen aus der Selbsthilfe, arbeiten mit und für die Selbsthilfe und verstehen unseren Verband als Selbsthilfeorganisation. Wir initiieren, fördern und unterstützen individuelle und kollektive Selbsthilfe nach den Grundsätzen "So viel Selbsthilfe wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig", "Selbstvertretung geht vor Stellvertretung" und "Respekt vor der Autonomie".

5. Unser Anspruch

Wir sind in Deutschland das bundesweite Netzwerk der Kompetenzen für die strukturelle Prävention und Gesundheitsförderung im Kontext von HIV/Aids.

Wir verbinden Fach- und Betroffenenkompetenz miteinander und binden unsere Zielgruppen in die Arbeit ein. Deshalb beanspruchen wir Mitsprache und mischen uns ein, wenn Verhältnisse und Entscheidungen das Leben mit HIV/Aids und Hepatitis sowie die Prävention betreffen - in Deutschland und auch international.

6. Unser Ansatz

Wir nehmen das Verhalten Einzelner ebenso in den Blick wie die Verhältnisse, in denen sie leben, und nehmen darauf im Sinne unserer Ziele Einfluss, etwa durch Einwirken auf Strukturen, durch Antidiskriminierungs-, Emanzipations- und Menschenrechtsarbeit sowie durch Selbstwertstärkung, die Vermittlung von Werten und die Förderung von Kompetenzen. Die Vorbeugung von HIV-Übertragungen (Primärprävention), die Förderung der Gesundheit Infizierter, damit sie nicht krank werden (Sekundärprävention) und die Erhaltung der Lebensqualität von Erkrankten (Tertiärprävention) bilden in unserer Arbeit eine Einheit, "negativ bleiben" und "positiv leben" gehören für uns zusammen.

Eingebettet ist diese strukturelle Prävention in einen wissenschaftlich basierten Ansatz lebensweltorientierter Gesundheitsförderung. Wir orientieren uns in kritischer Akzeptanz an den Lebensweisen der Menschen aus unseren Zielgruppen, fördern Selbsthilfe und Selbstorganisation und arbeiten eng mit den Zielgruppen unserer Arbeit und unseren Partner*innen in der Prävention und Gesundheitsförderung zusammen. Wie beim Menschen, so sehen wir auch bei Gesundheit und Krankheit verschiedene Dimensionen (z. B. die körperliche, geistige, soziale oder sexuelle) und berücksichtigen das Beziehungsfeld zwischen dem*der Einzelnen und seiner*ihrer Umwelt sowie seine*ihre Ressourcen.

7. Unser Menschenbild

So verschieden wir selbst sind, so verschieden sind auch unsere Welt- und Menschenbilder. Uns eint, dass wir den Menschen als ein mehrdimensionales Wesen sehen, das sich zwischen Polen wie Selbstständigkeit und Angewiesensein auf andere, Ich-Bezogenheit und Solidarität, Vernunft, Emotion und Irrationalität, Gesundheit und Krankheit, Risiko und Sicherheit oder Selbstverantwortung und Verantwortung für andere bewegt.

Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger, freier und gleichberechtigter Menschen, die alle ein Recht auf möglichst gutes, gesundes Leben haben, wissen aber zugleich um die Grenzen der Prävention.

8. Unsere Zielgruppen

Unser Engagement gilt den Menschen, die mit HIV/Aids leben, und den von HIV, Aids, Hepatitis und anderen sexuell und beim Drogenkonsum übertragbaren Krankheiten besonders bedrohten und betroffenen Individuen und Gruppen.

Das sind in Deutschland derzeit vor allem Männer, die Sex mit Männern haben, Migrant*innen aus Weltregionen mit besonders weiter HIV-Verbreitung, Drogengebraucher*innen, Menschen in Haft und Menschen in der Sexarbeit sowie ihre An- und Zugehörigen.

9. Vielfalt und Gemeinsamkeit

Wir schätzen und fördern Vielfalt, Offenheit und konstruktive Auseinandersetzung: In unserem Verband und in den Mitgliedsorganisationen begegnen sich Positive, Negative und Ungetestete, Menschen mit HIV, Aids und Hepatitis, Menschen mit unterschiedlichen geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen, Jüngere und Ältere, Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen.

Wir gehen auf unterschiedliche Bedürfnisse und Bedarfe ein, zum Beispiel, indem wir angemessene Arbeitsplätze für Menschen mit HIV, Aids, Hepatitis und anderen chronischen Krankheiten oder Einschränkungen einrichten, unterschiedliche kulturelle Hintergründe achten und andere Perspektiven aushalten und wertschätzen. Gemeinsam ist uns, dass HIV und Aids uns angeht und wir uns für die Ziele der Deutschen Aidshilfe einsetzen.

10. Unsere Verantwortung

Wir stehen mitten im Leben! Wir sind Teil der Communities und Szenen, mit denen und für die wir arbeiten. Wir mischen uns ein und knüpfen Kontakte und Netzwerke mit Vertreter*innen aus anderen Selbsthilfebereichen, aus Politik, Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft und Kultur, um strukturelle Prävention in unserer sich ständig verändernden Gesellschaft weiterzuentwickeln und zu sichern. Zugleich nehmen die Menschen in unserem Verband auch im Rahmen der weltweiten Aidshilfe-, Menschenrechts- und Bürgerrechtsbewegung Verantwortung wahr: Sie vermitteln ihre hierzulande erworbenen Kompetenzen und ihr Wissen an andere und lernen von ihnen, engagieren sich auf politischer Ebene und unterstützen Projekte in weniger privilegierten Regionen.

Wir übernehmen unsere Verantwortung für die Prävention und fordern dies auch von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Wir setzen uns auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene für die Sicherung der Präventionsarbeit ein, arbeiten für ein gesellschaftliches Klima der Solidarität und Akzeptanz, schaffen, fördern und unterstützen einladende Strukturen für bürgerschaftliches Engagement und werben für eine breite Unterstützung unserer Arbeit.

In der Prävention sehen wir die*den Einzelne*n nicht allein mit ihrer*seiner Verantwortung, sondern immer auch die Mitverantwortung der anderen, insbesondere dann, wenn die Partner*innen (zum Beispiel hinsichtlich ihres Wissens, Wollens, Fühlens und Könnens) nicht auf gleicher Augenhöhe sind.

11. Qualität unserer Arbeit

Die Qualität unserer Arbeit sichern wir systematisch durch

  • die Einbeziehung unserer Zielgruppen und die Zusammenarbeit mit ihnen,
  • kontinuierliche Aus-, Fort- und Weiterbildung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen,
  • Teilnahme am Fachdiskurs,
  • Erfahrungsaustausch innerhalb und außerhalb unseres Verbands,
  • die Entwicklung und Umsetzung von Standards und Leitlinien und
  • politische Arbeit zur Umsetzung unserer Ziele.

Der sachgerechte, wirtschaftliche und transparente Umgang mit den uns zur Verfügung gestellten Mitteln ist für uns selbstverständlich.

12. Die Rote Schleife

Die Deutsche Aidshilfe steht im Zeichen der Roten Schleife, des weltweit bekannten Symbols für die Solidarität mit HIV-Positiven und Aidskranken und für den Kampf gegen die Immunschwächekrankheit.