„Wir müssen ins Handeln kommen“: Eindrücke und Ergebnisse von der Mitgliederversammlung

„Ohne Ihr Engagement wäre die Gesellschaft so viel ärmer“: Grußwort des Regierenden Bürgermeisters von Berlin

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner ging in seinem Grußwort zunächst auf das 40-jährige DAH-Jubiläum ein, das er als „großartige Erfolgsgeschichte“ sieht. Die Erfolge seien so groß, dass man sich kaum an die Bedingungen in der Anfangszeit erinnern könne: „Aids kam mit ungeheurer Wucht über die Gesellschaft, die mit Angst, Abwehr, massiver Ausgrenzung und Diskriminierung reagierte“; auch die Fortschritte in der Akzeptanz schwuler Männer seien bedroht gewesen. Mit der Gründung sei ein Meilenstein in der Bekämpfung von Aids gesetzt worden, der in Berlin u.a. in das bis heute bewährte „Schöneberger Modell“ der Vernetzung von ambulanten und stationären Versorgungsangeboten mündete. Besonders gefreut habe er sich über den Fast Track Cities Circle of Excellence Award 2023 für Berlin, der motivieren sollte, nicht im Engagement nachzulassen. Wer mit HIV lebe, brauche Unterstützung und Solidarität, und „wir dürfen nicht wegschauen, wenn Schwule, Lesben oder Transgender diskriminiert werden“. Alle sollten das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben und vor Diskriminierung – z.B. auch beim Thema Blutspende – geschützt sein. In diesem Sinne sagt Kai Wegner seine Unterstützung und die des Berliner Senats zu.

Wie Sylvia Urban bei ihrem Dank an Kai Wegner anmerkt, beinhaltet die Fast Track City-Initiative das Versprechen, dass jeder Mensch mit HIV eine Therapie bekommt. Mit Blick auf die Ressourcen sei dies aber in Berlin kaum möglich. Dass die geplanten Kürzungen im Gesundheitsbereich zurückgenommen worden seien, sei sehr erleichternd; allerdings müsste auch die allgemeine Kostensteigerung eingepreist werden, um die Qualität der Arbeit der Berliner Mitgliedsorganisationen zu halten. Kai Wegner verweist hier auf seine erst relativ kurze Zeit im Amt und sein Bestreben, in der aktuellen Situation keinen Spar-Haushalt zu verabschieden, sondern in die Zukunft zu investieren. Letztlich stelle sich immer die Frage der Finanzierung, aber Träger, „ohne deren Engagement die Gesellschaft so viel ärmer wäre“, bräuchten eine gewisse Verlässlichkeit und nicht nur Förderzusagen von Jahr zu Jahr.

Entlastung des Vorstands für 2022

„Wie in den letzten Jahren auch schon“ konnten die Kassenprüfer Heinz-Ulrich Keller und Tom Scheel bei der dreitägigen Prüfung Ende Juli feststellen, „dass in der DAH alles richtig läuft“, wobei ihr besonderer Dank den Mitarbeiter*innen der Finanzbuchhaltung und Projektabrechnung gilt. Allerdings weisen sie auch im diesjährigen Bericht auf das strukturelle Problem kontinuierlich steigender Kosten bei gleichzeitig „erschwerter Anpassung der Einnahmenseite“ hin. Die Mitgliederversammlung folgt ihrer Empfehlung, den Vorstand für 2022 zu entlasten, einstimmig.

Haushalt 2024: keine Sparmaßnahmen an der falschen Stelle!

„Uns stehen Jahre der Schmerzen bevor“, stellt Patrik Maas, der Sprecher der Kommission Projekte und Finanzen (KomPuF) mit Blick auf die im Bundeshaushalt für 2024 vorgesehene Fördersumme von 6 Millionen Euro fest. Um die bestehenden Strukturen zu erhalten, auszubauen und weiterzuentwickeln, seien 7,5 Millionen Euro pro Jahr erforderlich. Vor dem Hintergrund, dass alle - ob auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene - unter den Folgen knapper Kassen leiden, gilt es für Patrik Maas zu verdeutlichen, dass die Arbeit der Aidshilfen kein „Finanzierungsluxus“ ist, sondern eine Notwendigkeit zur Gesundheitsförderung besonders vulnerabler Zielgruppen. „Viele von uns haben Kontakte zu Bundestagsabgeordneten. Wir müssen ihnen deutlich vor Augen führen, was passiert, wenn wir die erforderlichen Mittel nicht bekommen. Wer bei uns spart, macht die Sache für die Gesellschaft viel teurer.“

Nach ihren Beratungen in drei Sitzungen empfiehlt die KomPuF, die neben Patrik Maas aus Maik Schütz, Denis Leutloff, Frank Kreutzer, Ira Belzer, Sebastian Welke, Thomas Wilde und Ute Krackow besteht, der MV die Annahme des Verbandshaushalts 2024. Die MV folgt auch dieser Empfehlung einstimmig.

Aidshilfen gegen Rassismus: Wir müssen ins Handeln kommen!

Antirassimusarbeit ist Strukturelle Prävention. Das ist der Kern eines zehnseitigen Positionspapiers, das mit viel Input aus den Diskussionen im Rahmen des letztjährigen Fachtags „Diversity: Vielfalt leben und fördern“ entwickelt wurde und dem Wunsch Rechnung trägt, sich nicht nur punktuell gegen Rassismus zu engagieren, sondern als Verband eine klare gemeinsame Haltung zu formulieren. Das Papier definiert den Begriff Rassismus, erläutert seine Folgen für Gesundheit und HIV-Prävention und beschreibt, wie ein rassismuskritisches Miteinander geschaffen werden kann. Voraussetzung dafür ist, sich auch in Aidshilfe selbstkritisch mit dem erlernten Rassismus auseinanderzusetzen sowie Privilegien und Machtverhältnisse zu reflektieren. Auf dem Weg zu einer rassismus- und diskriminierungsfreien Versorgung für alle nennt es Maßnahmen wie die Forderung nach einem Ende der Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, Antirassimustrainings als Bestandteil der medizinischen und pflegerischen Aus- und Weiterbildung, mehr partizipative Forschung zu Rassismus und eine klare Rechtsprechung bei rassistischer Diskriminierung.

In der Diskussion zeigt sich eine hohe Bereitschaft, sich in Aidshilfe mit eigenen Vorurteilen und Alltagsrassismus auseinanderzusetzen. Einige Aidshilfen haben gute Erfahrungen mit verpflichtenden Awareness-Workshops für alle Mitarbeitenden gemacht; andere berichten von ihren Projekten mit und für Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht immer von Anfang an erfolgreich gewesen seien, sich aber mit zunehmender zugestandener Eigenverantwortung der Beteiligten weiterentwickelt und viel Voneinander-Lernen ermöglicht hätten. Fazit: „Wir sollten Migrant*innen nicht als Klient*innen betrachten, sondern sie beim Aufbau selbstverwalteter Strukturen unterstützen, in denen sie selbst entscheiden und Partner*innen auf Augenhöhe werden können.“

Konsens war, dass es nun darauf ankomme, das von der MV einstimmig verabschiedete Papier von der Theorie in die Praxis zu bringen und zu handeln. Erste Anregungen waren u.a., das Engagement gegen Rassismus zum Welt-Aids-Tag-Thema zu machen und Kooperationspartner*innen ins Boot zu holen oder queere Migrant*innen als „Bufdi“ zu beschäftigen; zugleich gab es den Appell, Menschen mit Rassismuserfahrung oder Migrationsgeschichte bei frei werdenden Stellen die Chance auf eine reguläre Anstellung zu öffnen und so tatsächlich Inklusion zu leben.

Wahl des Vorstands

Zum Ende ihrer Amtszeit dankt Patrik Maas als Sprecher der Kommission Projekte und Finanzen Winfried Holz, Ulf Kristal, Sylvia Urban, Sven Warminsky und Björn Beck, der Ende August aus beruflichen Gründen zurückgetreten war, für ihr Engagement in den letzten drei Jahren: „Ihr habt in diesen herausfordernden Zeiten für Beharrlichkeit und Kontinuität gesorgt, und ich habe mich von euch sehr gut vertreten gefühlt. Ihr steht in einer Reihe großartiger Menschen, die den Verband seit 1983 gestaltet haben“.

Für die anstehende Amtszeit bis 2026 hatten Winfried Holz, Ulf Kristal, Sylvia Urban und Sven Warminsky ihre erneute gemeinsame Kandidatur eingereicht. Gerade auch mit Blick auf den Sparkurs der öffentlichen Haushalte und die Aussicht, dass eine rechtsextreme Partei in einigen Landesparlamenten stärkste Kraft werden könnte, hatten sie darin erklärt, weiter alles dafür zu tun, damit die im Zukunftspapier „Aufs Ganze sehen“ beschriebenen Ziele Wirklichkeit werden. Voraussetzung dafür sei „die Absicherung von Aidshilfe-Arbeit, um auf diverser werdende Herausforderungen mit diverser werdenden Angeboten für Emanzipation und gegen Diskriminierung reagieren zu können“.

Ein weiterer Kandidat ist Stefan Miller, der seit 2015 im Projekt Buddy.hiv (seit 2022 als dessen Sprecher) sowie bei verschiedenen Themenwerkstätten und Fachtagen mitarbeitet und sein Gesicht als Kampagnenmodell für Selbstverständlich positiv zeigt; darüber hinaus ist er bei Pro Plus Hessen aktiv und war als Referent bzw. im Community Board an mehreren DÖAKs beteiligt. Er sieht seine Arbeitsschwerpunkte in den Themenbereichen wie sexuelle Rechte und Selbstbestimmung, Vielfalt und der flächendeckenden Versorgung für alle. Als Teil der Vielfalt ist für ihn auch „ein aktives Entgegentreten gegenüber Rassismus fundamental wichtig – nicht nur für ein besseres Miteinander, sondern um dadurch strukturelle Prävention voranzubringen und Niedrigschwelligkeit in den Angeboten zu gewährleisten.“

Alle fünf Kandidat*innen werden gewählt und nehmen die Wahl an.

Ehrenmitgliedschaft für Melike Yildiz

Sie wurde als Asylbewerberin ohne ihr Wissen auf HIV getestet, wusste nicht, ob sie überlebt, und fand beim Projekt Pluspunkt der Berliner Schwulenberatung Unterstützung und die Hoffnung auf eine echte Perspektive. Bald nachdem die gelernte Kunstpädagogin Melike Yildiz den Schritt zu Selbsthilfe-Gruppenangeboten gewagt hat, startet sie durch und wird Sprecherin von BeKAM, später auch des Positivenplenums der Berliner Aidshilfe; sie gründet die Kunstgruppe Familia plus Migra und stößt zum Netzwerk AfroLebenPlus, wo sie u.a. die Mobile Theatergruppe mitaufbaut, um Menschen für Präventionsbotschaften zu erreichen. Sie will ein Bewusstsein für die unwürdige Situation von Asylbewerber*innen schaffen und initiiert die Ausstellung „Auszüge aus dem Lebenslauf“ und mit AfroLebenPlus das Projekt AfroLebenVoice; und sie schafft es in unzähligen Workshops mit den Ausdrucksformen der Kunst, dass sich Blockaden bei den Teilnehmenden lösen und sie beginnen können, ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Sie gestaltet Dinge mit – ob in diversen Arbeitsgruppen, den Projektbeiräten von PaKoMi und den Positiven Stimmen oder gar im Beratergremium der Bundesregierung, dem Nationalen AIDS-Beirat. Die Frau mit Kopftuch macht sich stark für sexuelle Rechte und Selbstbestimmung, öffnet die Türen zwischen unterschiedlichsten Communitys, setzt sich vehement für eine flächendeckende Versorgung ein und verkörpert gelebte Solidarität.

Für all ihre Verdienste trägt die Mitgliederversammlung ihr einstimmig die Ehrenmitgliedschaft an.

Internationale Aids-Konferenz am 22. bis 26. Juli 2024 in München

Dass die Internationale Aids-Konferenz 2024 (nach 2018 in Amsterdam) erneut nach Europa kommt, hat überrascht, denn eigentlich sollte sie künftig nach einem Rotationsprinzip in den Hochprävalenzgebieten wechselnder Kontinente stattfinden. Nun ist davon auszugehen, dass die Konferenz in München auf längere Zeit die einzige Möglichkeit bleiben wird, so nah am Geschehen zu sein. Die DAH hat deshalb in Abstimmung mit den PositHIVen Gesichtern entschieden, zugunsten einer möglichst großen Community-Beteiligung an der Konferenz im nächsten Jahr auf die Positiven Begegnungen zu verzichten. Das Ziel ist, vor allem im Global Village, in dem NGOs aus aller Welt ihre Arbeit vorstellen, die sogenannten Networking Zones zu unterschiedlichen Themen wie Sexwork oder Harm Reduction zu gestalten und die Chance zu nutzen, die Vielfalt von Aidshilfe-Arbeit von Aachen bis Zwickau an kleinen Ständen zu präsentieren. Darüber hinaus gibt es schon viele Ideen, wie die Atmosphäre der internationalen Vernetzung und die Aktionen im Global Village festgehalten und weitertransportiert werden können – z.B. in Form von Live Streams, Podcasts und Videos.

Um im Verband und mit den PositHIVen Gesichtern weitere Ideen zur Gestaltung zu sammeln, aber auch ganz praktische Fragen z.B. zu Mittelakquise, Beantragung von Ständen oder Unterbringung von Menschen aus der Community zu klären, wird ein Kommunikationskanal eingerichtet, über den die Mitgliedsorganisationen und Selbsthilfe-Vernetzungen per Mail informiert werden.

Ein Tipp für den zeitweisen Zugang zur Hauptkonferenz ist die ab März mögliche Anmeldung zum Volunteer-Programm, das zu vier halben Tagen freiwilliger Arbeit verpflichtet.

Wahl der PositHIVen Gesichter 2024

Der Verzicht auf die Positiven Begegnungen bringt es mit sich, dass für die im nächsten Jahr wieder anstehende Wahl der PositHIVen Gesichter ein anderer Weg gefunden werden muss. Die MV folgt dem Vorschlag des Vorstands, die Wahl online durchzuführen und damit möglichst vielen Menschen in Deutschland eine Beteiligung zu ermöglichen. Der Aufruf zur Kandidatur wird im Frühjahr auf unterschiedlichen Kanälen veröffentlicht; die Kandidat*innen können sich dann bis Anfang September per Video oder schriftlich auf aidshilfe.de vorstellen. Gewählt wird über ein Tool, das allen Anforderungen der DSGVO entspricht. Das Wahlergebnis wird Ende September 2024 auf der Webseite der DAH mitgeteilt.

Mitgliederversammlungen 2024 und 2025

Austragungsort des Fachtags und der MV am 8. bis 10. November 2024 wird Köln sein, wo sich die Aidshilfe NRW und die Aidshilfe Köln gemeinsam beworben haben. Gastgeberin der MV 2025 ist die Aidshilfe Hamburg.