Medikalisierung der HIV-Prävention - Chance oder Risiko für die Aidshilfe?

Im April 2016 hat die Bundesregierung die neue „Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C sowie anderen sexuell übertragbaren Infektionen“ beschlossen. Unter dem Titel „BIS 2030“ ist vorgesehen, integrierte Präventions- , Test- und Versorgungsangebote bedarfsorientiert auszubauen, um durch eine sektorübergreifende Vernetzung aller Akteure das globale Ziel „90/90/90“ gemeinsam zu erreichen und so AIDS global zu beenden.

Was B.IS. – Bedarfsorientiert, Integriert, Sektorübergreifend – für die Aidshilfe bedeutet, wird Thema dieser Tagung sein. Dass es dabei nicht einfach darum geht, „mehr zu testen“, sondern „die Richtigen“ zu erreichen, versteht sich von selbst. Über die Weiterentwicklung der bewährten primärpräventiven Arbeit geht es aber auch darum, sich stärker „medizinisch“ einzumischen.

Dies haben Aidshilfen über den Ausbau eines szenenahen HIV- und STI-Testangebots außerhalb medizinischer Settings bereits getan, welches in absehbarer Zeit durch die Einbeziehung von Selbst- und Einsendetests seine Reichweite erhöhen wird.

„Schutz durch Therapie“ haben wir in den letzten Jahren in den Kanon der Safer-Sex-Strategien aufgenommen. Und schon gilt es, Aufbau- und Aufklärungsarbeit für die PrEP zu leisten.

Manch einer schaut dem geschäftigen Treiben mit einer gehörigen Portion Skepsis zu. „Schuster bleib bei deinen Leisten!“ möchten einige denjenigen zurufen, die schon dabei sind, medizinische Versorgungszentren unter dem Dach von Aidshilfen zu planen.

Ist der Zug der Medikalisierung der HIV-Prävention überhaupt noch aufzuhalten? Ist Aidshilfe nicht gezwungen, auf ihn aufzuspringen und Dampf zu geben? Gefährdet die Medikalisierung unser Konzept einer strukturellen Prävention? Oder eröffnet sie ihr vielmehr neue Möglichkeiten und wir können froh darüber sein?

Und last but not least: Welchen Stellenwert messen wir in Zukunft der Antidiskriminierungsarbeit zu? Aus der Testberatung wissen wir, dass der „social impact“ einer HIV-Diagnose heute das eigentliche Damoklesschwert von HIV darstellt. HIV steht nach wie vor für Ausschluss aus der Gemeinschaft der Gesunden und Normalen. Greift deshalb das Konzept von 90-90-90 nicht zu kurz und muss auf 0-90-90-90 erweitert werden? Null steht dabei für Null Diskriminierung.