Alternativer Drogen- und Suchtbericht kritisiert deutsche Drogenpolitik

Einen Monat nach Veröffentlichung des von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und des Bundeskriminalamts herausgegebenen Berichts zur „Rauschgiftlage“ in Deutschland hat nun der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik akzept e.V. seinen Alternativen Drogen- und Suchtbericht vorgelegt.

Wie schon in den drei vorangegangenen Jahren waren auch 2016 erneut mehr Drogentote zu beklagen. Nach Angaben der Bundesdrogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) wurden im letzten Jahr 1.333 „rauschgiftbedingte Todesfälle“ registriert.

Repressionen führen nicht zu weniger Drogenkriminalität

Angestiegen ist auch die Zahl der Rauschgiftdelikte, die polizeilich ermittelt wurden, auf einen neuen Höchststand von 302.000. Davon seien rund 80 Prozent sogenannte Konsumdelikte oder konsumnahe Delikte, bei denen es um Substanzen für den Eigenbedarf gehe, erklärte Prof. Dr. Stöver, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences und Vorstandsvorsitzender von akzept e.V., auf der gestrigen Pressekonferenz zum Alternativen Drogen- und Suchtbericht.

„Aus Polizeikreisen, auch solchen, die nicht liberalisierender Umtriebe verdächtig sind, ist zu hören, dass bestimmte Reviere gerne zeitweise ihre Aktivitäten stärker auf Drogenkontrollen verlagern, um ihre Statistik aufzuhübschen“, schreiben Stöver und Dr. Bernd Werse, Vorstandsmitglied der European Society for Social Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt, in ihrem Vorwort zu dem Bericht. „Da es sich bei der ‚Rauschgiftkriminalität‘ um Kontrolldelikte handelt, die nahezu ausschließlich von der Polizei zur Anzeige gebracht werden, wenn bereits verbotene Substanzen gefunden wurden, beläuft sich die Aufklärungsquote auf nahezu 100 Prozent.“

Die Hälfte der Menschen, gegen die ermittelt werde, seien Jugendliche und Heranwachsende. Junge Leute würden durch die polizeilichen Ermittlungen stigmatisiert, abgestempelt und als Kiffer oder Junkies gebrandmarkt. Dealer und die Leute hinter den Geschäften würden dagegen nur selten gefasst.

„Mortler legt ihre parteipolitischen Scheuklappen nicht ab – wir brauchen eine weniger ideologiebehaftete Drogenpolitik“, betonte Heino Stöver bei der Vorstellung des Berichts. Die Forscher empfehlen eine staatlich regulierte Drogenabgabe, die zum Austrocknen des Schwarzmarkts führen und Konsument_innen Sicherheiten gewähren würde.

Wirkungsvolle Maßnahmen endlich flächendeckend umsetzen!

Nachholbedarf bestehe außerdem bei der Einrichtung von Räumen, in denen Drogenabhängige unter Aufsicht und hygienischen Bedingungen ihre Drogen konsumieren können. „Wenn es nicht nur in sechs Bundesländern Drogenkonsumräume geben würde, müssten nicht so viele suchtkranke Menschen sterben“, erklärte der Sozialarbeiter und Suchttherapeut Urs Köthner. Die anderen zehn Bundesländer hätten bislang nicht einmal die rechtliche Grundlage für die Einrichtung solcher Räume erarbeitet.

Weitere sinnvolle Maßnahmen zur Verhinderung von Todesfällen wären zudem Drug-Checking-Angebote, bei denen Drogen legal auf Inhaltsstoffe getestet werden, und die Ausgabe des Notfallmedikaments Naloxon an Drogengebraucher_innen, deren Angehörige und Freund_innen, um bei Opiat-Überdosierungen lebensrettend eingreifen zu können.

Roter Teppich für Tabak und Alkohol – mit schwerwiegenden Folgen

Kritik üben die Autor_innen des Berichts auch am Umgang mit den legalen Drogen Tabak und Alkohol. Deutschland sei mittlerweile das einzige europäische Land, in dem Werbung für diese Suchtmittel noch erlaubt sei. „Wir sind in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland und haben den Herstellern legaler Drogen den roten Teppich ausgerollt“, erklärte Stöver. Die Folge: Jährlich sterben rund 110.000 Menschen frühzeitig an den Folgen des Tabakkonsums, weitere 74.000 Sterbefälle sind alkoholbedingt. Als notwenige Präventionsmaßnahmen sieht Stöver massive Preiserhöhungen für beide Drogen sowie einen Zugang für Bier- und Weinprodukte erst ab 18 Jahren.

(ascho)

Quelle/weitere Informationen:

4. Alternativer Drogen- und Suchtbericht

Die Deutsche Welle über den 4. Alternativen Drogen- und Suchtbericht

Das Deutsche Ärzteblatt über den 4. Alternativen Drogen- und Suchtbericht