Bericht der Zivilgesellschaft zeigt Lücken der Harm-Reduction in Deutschland

C-EHRN (kurz für Correlation – European Harm Reduction Netzwerk) ist ein einzigartiges Netzwerk von vielen hundert Einrichtungen der Drogenhilfe, nationalen Netzwerken der Schadensminderung, Peer-Gruppen und anderen Vertreter*innen der Interessen Drogen gebrauchender Menschen. In 34 Ländern in Europa finden sich sogenannte Focal Points von C-EHRN, die u. a. die Aufgabe haben, als nationale Ansprechpartner*innen zu fungieren. Sie verfügen über einen guten Überblick über die Stärken und Lücken des Hilfesystems und sind für das Monitoring mitverantwortlich. Deutschland ist dort durch die Deutsche Aidshilfe vertreten. 

Staatliche Einrichtungen wie das Robert Koch-Institut, die BzgA oder die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht erheben Daten zur Drogensituation in Deutschland für die EMCDDA (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ). Ergänzend dazu nutzen die C-EHRN-Mitglieder ihre Innenansichten aus der vor-Ort-Arbeit, um die aktuelle Situation von Drogengebraucher*innen aus der Praxis heraus zu beschreiben und Entwicklungen in einer Bestandsaufnahme und Analyse zur Schadensminimierung in Europa zusammenzufassen.

Hilfsangebote erreichen viele nicht

Nachdem der Bericht im Jahr 2019 die Gesamtlage in den jeweiligen Ländern erfasste, liegt der Fokus im aktuellen Bericht u. a. auf der Erfassung der Situation in Hauptstädten bzw. Metropolen der Länder. So sind einige der erhobenen Daten nicht repräsentativ, aber die lokalen Kenntnisse über die Entwicklung von Angeboten der Schadensminimierung gewinnen als Ergänzung zu den nationalen Daten an Gewicht.

In Europa befinden sich fast die Hälfte der Länder, die weltweit Angebote der Konsumutensilienvergabe bzw. Opioidsubstitutionsbehandungen vorhalten. Mehr als 90 % der Länder berücksichtigen in ihrer nationalen Drogenpolitik die Schadensminderung. 

Doch die Hilfeangebote für Drogengebraucher*innen sind nicht nur geografisch ungleich verteilt. Spezifische Gruppen von Drogenkonsument*innen sind unterversorgt oder ihnen wird der Zugang zu entsprechenden Angeboten erschwert bzw. verwehrt. Dazu gehören beispielsweise drogenkonsumierende Frauen, Migrant*innen und Wohnungslose sowie Männer, die Sex mit Männern haben.

Mangelnder Austausch zwischen Regierungen und NGOs

In fast allen Ländern, die am Monitoring mitgewirkt haben, gibt es einen strukturellen Informationsaustausch zwischen den politischen Entscheidungsträgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich der Drogenpolitik. Die Qualität dieser Zusammenarbeit siedeln die Focal Points allerdings auf einem niedrigen Niveau an. Über 60 % bemängelt den einseitigen Informationsfluss von der Regierung in Richtung der Zivilgesellschaft und vermissen deshalb einen interaktiven, konstruktiven Austausch von Ideen und Aussichten zwischen den beiden Parteien. 

Zugang zu Hepatitis-C-Tests und -Behandlung

Deutschland gehört zu jenen 33 der 35 im Bericht berücksichtigten Länder, in deren nationalen Hepatitis-C-Leitlinien Drogengebraucher*innen explizit genannt werden. Dies wirkt sich unter anderem auf den Zugang zu HCV-Informationen, Tests und Behandlung aus. In Deutschland, wie in 20 weiteren der beteiligten Länder, kommen moderne Therapien zum Einsatz. Bei fast allen Ländern mit HCV-Angeboten sind Beratung, Testung und Behandlung eng miteinander verknüpft. 

„Dies gilt grundsätzlich auch für niedrigschwellige Einrichtungen und Gefängnisse“, stellt DAH-Drogenreferent Dirk Schaeffer fest. „Jedoch sollten in beiden Bereichen Beratungs- und Testangebote im größeren Umfang gefördert und umgesetzt werden.“

Prävention von Überdosierungen

Das Medikament Naloxon, das bei Überdosierung lebensrettend sein kann, ist zwar in den meisten Metropolen, die für den C-EHRN-Bericht untersucht wurden, verfügbar. Doch wird lediglich ein kleiner Teil der Opioidkonsument*innen tatsächlich erreicht.

Berlin ist eine von 35 Städten, in denen Naloxon als Take-Home-Präparat verschrieben werden kann. In zwei Drittel der vom C-HERN beobachteten Städte erhalten insbesondere Mitarbeiter*innen niedrigschwelliger Einrichtungen entsprechende Schulungen zur Ersten Hilfe im Falle von Überdosierungen. 

„Die Naloxonvergabe muss dringend ausgeweitet werden“, fordert deshalb Dirk Schaeffer. Auf diese Weise könnte die Anzahl der opioidbedingten Drogentodesfälle landesweit reduziert werden.

Die Substitutionsbehandlung ist ebenfalls ein zentrales Angebot zur Reduzierung drogenbedingter Mortalität. Zwar gibt es in Berlin keinen Mangel an Substitutionsärzt*innen, doch Menschen ohne Krankenversicherung, wie zum Beispiel Migrant*innen und Geflüchtete, sind bis auf wenige Ausnahmen von der Substitutionsbehandlung ausgeschlossen.  

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie

Die Covid-19-Pandemie hatte länderübergreifend Auswirkungen auf die Angebote für Drogengebraucher*innen. Rund die Hälfte aller Anlaufstellen klagte über fehlende Schutzausrüstung für das Personal, in jeder zweiten Einrichtung mussten Angebote zu Schadenminimierung reduziert bzw. beschränkt werden. 

Allerdings hatte die Pandemie auch positive Effekte. 17 der 35 am Monitoring beteiligten Einrichtungen berichten von deutlichen Erleichterungen, die sich im Zuge der Corona-Maßnahmen ergeben haben. In Deutschland etwa konnten Drogengebraucher*innen Praxisbesuche reduzieren und stattdessen telefonisch Kontakt zu ihren Ärzt*innen aufnehmen. Ebenso wurde die Take-Home-Vergabe vereinfacht. Zudem wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert, was zur Folge hatte, dass viele bislang nicht erreichte Drogengebraucher*innen eine Substitutionsbehandlung begonnen haben. 

Jede vierte, der am Bericht beteiligten Focal Points bewertet die Reaktion der jeweiligen nationalen Regierung hinsichtlich des Schutzes drogenkonsumierender Menschen als „überdurchschnittlich”. Auch Deutschland erhält diese Bestnote, nur die Niederlande wurden noch höher bewertet. 

Weitere Forderungen an die Politik

Dennoch fehlen hierzulande die dringend erforderlichen Drug-Checking-Angebote.

„Konkrete Konzepte liegen dazu schon seit Jahren vor, ebenso Gutachten, die solche Analyse- und Beratungsangebote rechtlich absichern“, erklärt DAH-Referent Dirk Schaeffer. Hier scheint es am politischen Willen zu mangeln. Dies weniger aus dem Gesundheitsbereich – vielmehr behinderten die beteiligten Innenpolitiker*innen die Umsetzung.

Eine Erkenntnis aus dem Monitoring-Bericht von C-EHRN ist daher auch, wie wichtig der intensive Austausch zwischen Regierung und zivilgesellschaftlichen Organisationen ist.

Denn nur so könne es gelingen, die politisch Verantwortlichen direkt aus der Praxis in Kenntnis darüber zu setzen, welche Maßnahmen hilfreich oder kontraproduktiv sind. Darüber hinaus können zivilgesellschaftliche Organisationen und Einrichtungen wichtige Hinweise geben, wie Maßnahmen der Schadensminderung zielgerichtet und effektiv, und damit wirksam, ein- und umgesetzt werden können sowie Lücken definieren.

 

Der C-EHRN-Bericht „Monitoring von Harm Reduction aus dem Gesichtspunkt der Zivilgesellschaft in Europa 2020“ ist als PDF abrufbar: