Europäischer Drogenbericht 2022: „Überall, alles, jede*r“

Drogen sind praktisch überall in Europa verfügbar, alle auf die Psyche wirkenden Substanzen werden genutzt und jede*r ist direkt oder indirekt von Drogen betroffen, so die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA).

Der Europäische Drogenbericht 2022 zeigt: Angebote zur Schadensminimierung und Behandlung sind nach wie vor unzureichend. Drogenproduktion und -konsum sind wieder auf einem Level wie vor der Covid-19-Pandemie, ständig kommen neue, potenziell gefährliche psychoaktive Substanzen hinzu. Die Vertriebswege verlagern sich zum Teil in die Sozialen Medien.

Drogen in Europa: Anstieg bei Produktion, illegalem Handel und Verfügbarkeit

Neue Drogen, neue Märkte, neue Konsummuster – so ließe sich der am 14. Juni vorgelegte Europäische Drogenbericht 2022 verkürzt zusammenfassen. Für den Report wurden aus den Daten aller EU-Staaten sowie der Türkei und Norwegens aktuelle Trends und Entwicklungen herausgearbeitet.

Nachdem im Zuge der Covid-19-Pandemie der Drogenmarkt und -konsum stark eingebrochen waren, sei inzwischen wieder mindestens ein Niveau wie vor der Pandemie zu verzeichnen.

Erfreulicherweise seien aber auch Drogenbehandlungsangebote und andere Gesundheitsdienste wieder ohne Einschnitte verfügbar, wobei einige der lockdownbedingten Innovationen wie Telemedizin vielerorts beibehalten wurden – in Deutschland zum Beispiel leichtere und längere Mitgaben von Substitutionsmedikamenten nach Hause.

Verändertes Angebot mit erhöhten Risiken

Cannabis ist in Europa nach wie vor die beliebteste illegalisierte Droge. Sie wird von mehr als 27 Prozent aller Europäer*innen im Laufe ihres Lebens mindestens einmal konsumiert, in Frankreich sind es sogar 43 Prozent.

Besorgniserregend sei, dass Cannabisprodukte immer häufiger mit synthetischen Cannabinoiden versetzt würden, die potenziell hoch wirksam und schädlich seien, während die Nutzer*innen glaubten, ein „Naturprodukt“ gekauft zu haben. Es bestehe daher Bedarf an umfassenderen analytischen und toxikologischen Tests von Cannabisproben sowie an einer schnellen Kommunikation der Ergebnisse, so die EMCDDA.

Auch synthetische Opioide, bei deren Konsum zum Teil Lebensgefahr besteht, und andere synthetische Drogen kommen laut dem Drogenbericht ständig neu auf den Markt. Zudem verlagere sich der Markt zum Teil aus dem Darknet in die Sozialen Medien.

Hohe Kokain-Verfügbarkeit, steigender Crack-Konsum, Heroin-Konsum stabil

Die Produktion, Verfügbarkeit und Konsum von Kokain, synthetischen Cathinonen und Methamphetaminen ist laut EMCDDA hoch. Der Konsum von Kokain und Crack scheint dabei zu steigen: 2020 haben in Europa schätzungsweise 7.000 Klient*innen wegen Crack-Problemen eine Drogenbehandlung aufgenommen, dreimal so viel wie 2016. Auch in Deutschland kommt Crack offenbar vermehrt in Städten vor, in denen es bisher selten konsumiert wurde.

Der Heroinkonsum dagegen scheint 2020 im Vergleich zu den Vorjahren stabil geblieben zu sein. Heroin ist nach wie das am häufigsten konsumierte illegale Opioid in Europa und für die meisten drogenbedingten Todesfälle (mit)verantwortlich.

Zu wenig Angebote zur Schadensminderung und Behandlung

Die gemeinsame Benutzung von Spritzbesteck zum intravenösen Drogenkonsum ist mit dem Risiko von HIV- oder Hepatitis-Übertragungen verbunden. 2020 wurden in der EU 563 HIV-Diagnosen und 128 Aids-Diagnosen in Zusammenhang mit injizierendem Drogenkonsum gestellt.

Die HCV-Prävalenz bei injizierenden Drogengebraucher*innen liegt je nach Land zwischen 13 und 86 Prozent – abhängig vor allem von den Angeboten zur Schadensminderung und Behandlung.

Die Ziele der Weltgesundheitsorganisation, bis 2020 solle jede Drogen injizierende Person jährlich 200 sterile Spritzbestecke bekommen und mindestens 40 Prozent der Opioidkonsument*innen mit riskantem Konsum sollten in einer Substitutionsbehandlung sein, wurden 2020 aber lediglich von Luxemburg, Norwegen, Spanien und Tschechien erfüllt.

Deutsche Aidshilfe fordert Politikwechsel

In Deutschland starben im Jahr 2021 mehr als 1.800 Menschen an den Folgen von Drogenkonsum und – vor allem – der gescheiterten Drogenverbotspolitik, fast 16 Prozent mehr als 2020 und 44 Prozent mehr als 2017.

Die Deutsche Aidshilfe und andere Organisationen fordern seit langem einen Politikwechsel hin zu Entkriminalisierung und staatlicher Regulierung sowie zum Ausbau der Schadensminimierung.

(ascho/hs)

European Drug Report 2022: Trends and Developments (Übersichtsseite mit Möglichkeit zum Download des Berichts in zahlreichen Sprachversionen)

Statistical Bulletin 2022: Seite mit länderspezifischen Suchmöglichkeiten (auf Englisch)