HIV-Neuinfektionen: Präventions- und Testangebote ausbauen!

Laut Robert Koch-Institut ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in den letzten 15 Jahren zurückgegangen, steigt aber bei heterosexuellen und Drogen injizierenden Menschen.

Rund 1.900 Menschen haben sich im Jahr 2022 in Deutschland mit HIV infiziert, 100 mehr als im Vorjahr. Insgesamt ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen – bei leichten Schwankungen – seit 2007 gesunken. Diese Schätzung hat das Robert Koch-Institut (RKI) heute in seinem Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht.

Rund 1.000 HIV-Neuinfektionen (53%) betreffen demnach Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Der seit 2007 beobachtete Rückgang geht vor allem auf diese Gruppe zurück. In den letzten drei Jahren blieb die Zahl der Neuinfektionen bei MSM stabil.

Etwa 520 Menschen (27%) haben sich auf heterosexuellem Wege infiziert, davon 310 Frauen (16%) und 210 Männer (11%). Bei etwa 370 Menschen (19%) wurde HIV durch intravenösen Drogenkonsum übertragen. In beiden Gruppen verzeichnet das RKI seit einigen Jahren einen leichten Anstieg.

„Die HIV-Prävention in Deutschland ist sehr erfolgreich. Die neuen Zahlen zeigen, dass wir jetzt nicht nachlassen dürfen“, sagt Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe. „Wir können weitere Anstiege verhindern und einen Rückgang in allen Gruppen erreichen. Prävention, Test- und Beratungsangebote müssen dafür ausgebaut und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden.“

Therapie und PrEP lassen Infektionszahlen sinken

Für den Rückgang der Infektionen sind hauptsächlich zwei Faktoren verantwortlich:

Zum einen werden HIV-Infektionen immer häufiger früh diagnostiziert und immer früher behandelt. HIV ist unter Therapie nicht übertragbar. Dementsprechend finden weniger Infektionen statt.

Zum anderen hat die medikamentöse HIV-Prophylaxe PrEP an Bedeutung gewonnen. Sie wird heute in Deutschland von rund 30.000 Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko angewendet, fast ausschließlich schwule und bisexuelle Männer. Das RKI stellt dazu fest, dass es auch in anderen Gruppen „durchaus Bedarfe“ gebe.

„Politik, Medizin und Prävention müssen gemeinsam darauf hinarbeiten, dass alle Menschen mit Bedarf Zugang zur PrEP haben, denen die diese Methode helfen kann, sich vor HIV zu schützen“, sagt Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen Aidshilfe. Die DAH hat zu diesem Thema bereits im März ein Positionspapier veröffentlicht.

Test- und Behandlungsangebote sind ein wichtiger Schlüssel

Für den leichten Anstieg bei Heterosexuellen ist laut RKI eine Mischung verschiedener Faktoren verantwortlich. Unter anderem werde diese Gruppe durch Testangebote schlechter erreicht als schwule und bisexuelle Männer.

Auch bei intravenös Drogen konsumierenden Menschen sieht das RKI eine teilweise mangelnde Anbindung an Testangebote als einen Grund für den Anstieg der Neuinfektionen: „HIV-Infektionen werden später entdeckt und später behandelt, dadurch entstehen mehr Möglichkeiten für lokale Infektionscluster, die in den letzten Jahren zunehmend beobachtet werden.“

Immer mehr Menschen konsumierten Substanzen, die nicht zur Gruppe der Opiate gehören; für sie gebe es keine Substitutionstherapien und sie hätten oft kaum Zugang zum Hilfe- oder Medizinsystem.

„Zugleich bleibt es dabei: HIV- und Hepatitisinfektionen beim Injizieren von Drogen lassen sich mit sterilen Spritzen und Konsumutensilien verhindern, Drogenkonsumräume haben hier eine große Bedeutung. Möglichkeiten der Schadensminimierung müssen allen Menschen, die intravenös Drogen konsumieren, zur Verfügung stehen – in allen Bundesländern und auch in Gefängnissen“, erläutert Silke Klumb.

Ausbau statt Rückschritten

Das RKI weist zudem darauf hin, dass neben intravenös Drogen konsumierenden Menschen auch zwei weitere Gruppen nicht ausreichend von Testangeboten erreicht würden: Männer, die Sex mit Männern haben, außerhalb von Großstädten, sowie Heterosexuelle mit HIV-Risiken.

Die Deutsche Aidshilfe sieht zugleich eine Gefährdung bestehender Angebote. „Wir erleben leider zurzeit eine Gefährdung von Test- und Beratungsangeboten durch rückläufige finanzielle Mittel für Aids- und Drogenhilfeeinrichtungen in den Ländern und Kommunen. Das kann fatale Folgen haben. Wir brauchen einen klugen Ausbau statt eines Rückgangs, um Erfolge zu vergrößern und Rückschritte zu verhindern“, sagt DAH-Geschäftsführerin Silke Klumb.

Außerdem gibt es weitere Versorgungslücken, die sich auch auf die Zahl der HIV-Neuinfektionen auswirken:

„Menschen ohne Aufenthaltstitel oder Krankenversicherung haben oft keinen Zugang zur HIV-Behandlung. Wir brauchen dringend Lösungen, damit alle Menschen mit HIV so schnell wie möglich eine HIV-Therapie erhalten. Das ist eine Frage der Menschenrechte, sorgt aber auch dafür, dass HIV nicht mehr übertragbar ist“, so Klumb.

Ausführliche Schätzung folgt

Das Robert-Koch-Institut hat in diesem Jahr anlässlich des Welt-Aids-Tages nur wenige Zahlen veröffentlicht. Eine ausführliche Einschätzung der Situation, die sonst immer vor dem Welt-Aids-Tag erfolgte, sei zurzeit nicht möglich, teilte das RKI mit. Es fehlten noch wichtige Daten zur Versorgung von Menschen mit HIV, die in die Schätzung einfließen müssten. Ein detaillierter Bericht einschließlich der Zahl der Menschen mit HIV in Deutschland, der Zahl der Diagnostizierten und Behandelten (Behandlungskaskade) soll folgen, ein Zeitpunkt für die Veröffentlichung steht noch nicht fest.