Mit der Marke Aidshilfe in die Zukunft

Die sieben Thesen zur Zukunft von Aidshilfe werden inzwischen auch auf unterschiedlichen Ebenen im Verband diskutiert. Wir wollen an dieser Stelle in loser Folge Beispiele aus der Diskussion vor Ort vorstellen. Den Anfang machen wir mit der Aids-Hilfe München, die der Zukunft im Mai ein Forum eingeräumt hat. Wir sprachen mit dem fachlichen Leiter Michael Tappe.

Michael, ihr habt in der Aidshilfe alle sieben Thesen zur Zukunft von Aidshilfe diskutiert, und zwar zunächst in den einzelnen Teams und Gruppen und dann in einem Forum, um die Ergebnisse auszutauschen. Wie kam denn die Anregung, sich mit den Thesen zu beschäftigen, überhaupt bei euch an?

Die Idee wurde erstmal sehr gut angenommen, in dem Tenor: Es ist toll, dass der Dachverband sich für unsere Themen interessiert und uns mitreden lässt. Die zweite Reaktion war dann schon eher „Hm, das ist doch alles alter Schnee“. Vieles, was in dem Papier als zukunftsweisend dargestellt ist, wird bei uns längst umgesetzt. Wir haben uns zum Beispiel vor einigen Jahren sehr intensiv und auf allen Ebenen mit dem HIV-Test auseinander gesetzt, bevor wir mit checkpoint wegen des präventiven Potenzials unser eigenes Beratungs- und Testangebot aufgebaut haben. Für uns ist gilt deshalb schon lange das Prinzip der informierten Zustimmung, das wir gegen die Opt-out-Strategie verteidigen müssen. Aber in einem so großen Verband braucht es eben Zeit, bis Diskussionen in allen Gliederungen ankommen.

Sinn der sieben Thesen ist es ja, durchaus auch kontroverse Debatten anzuregen. Hat das denn bei euch funktioniert?

Eher nicht; ich selbst habe mich oft gefragt, wie viele Weichspülgänge das Papier schon durchlaufen hat, obwohl es ja schon die pointiertere Version ist. Wir fanden auch, dass es keine wirkliche Trennschärfe zwischen einzelnen Thesen gab und manches sehr hochschwellig formuliert war. Der Inhalt der Thesen fand generell Zustimmung; ausführlicher haben wir vor allem über die Aussagen zum Stigma und zur Normalisierung diskutiert. Mich hat es sehr gefreut, dass wir zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es falsch wäre, das „Aids“ aus dem Namen zu streichen und durch „sexuelle Gesundheit“ zu ersetzen, um das Stigma zu leugnen. Wir sind der Meinung, dass Aidshilfe eine Marke ist, die für bestimmte Kompetenzen steht. Aber es gab schon den Einwand, dass manche positive schwule Männer nicht mit Aids in Verbindung gebracht werden wollen und mit einem Angebot, das die Gesundheit im Namen trägt, womöglich besser erreicht werden können. Ich habe es bei mir selbst als großen Schritt erlebt, mit der Therapie zu beginnen. Wer Tabletten nimmt, ist krank, und viele wollen sich nicht als krank sehen.

Bedeutet das, dass die Aidshilfe sich immer weiter öffnen und ihre Palette erweitern muss, um auch noch den letzten potenziell Gefährdeten zu erreichen? Könnte sie nicht auch sagen, wir haben ein bestimmtes Profil, und wer sich bei uns nicht aufgehoben fühlt, sollte sich vielleicht besser an die Caritas wenden?

Wenn es einen anderen Ort gibt, ist es gut, aber wenn es ihn nicht gibt, sehe ich unsere Verantwortung schon darin, nicht nachzulassen und gerade schwulen Männern, die vielleicht ein problematisches Verhältnis zum Gesundheitssystem haben, nahezubringen, welche Möglichkeiten es gibt. Die Leute, die tatsächlich gesundheitliche Nachteile hätten, sollte man schon erreichen – nicht dass sie erst zehn Jahre später im Schwabinger Krankenhaus auftauchen.

Kommen wir zum Thema Selbsthilfe. Ihr habt die Thesen ja in den hauptamtlichen Teams, in den ehrenamtlichen Gruppen und in den Selbsthilfegruppen wie z.B. der Yoga-Gruppe diskutiert. Sind sie denn in Bezug auf die Forderung, dass es keine Prävention ohne Beteiligung geben kann, zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen?

Zunächst einmal muss man sagen, dass sich die Stammtische der reinen Selbsthilfegruppen nicht so stark an der Diskussion beteiligt haben wie die Haupt- und Ehrenamtlerteams, wobei viele Leute aus der Selbsthilfe auch zu den Ehrenamtlern gehören und sich da auch rege beteiligt haben. Und es ist ja auch verständlich, wenn man abends nach der Yoga-Gruppe nicht noch lange debattieren will. Aber die Diskussion im Forum war zu einem Drittel mit offen positiv lebenden Menschen besetzt, die aus der Selbsthilfe kamen, aus haupt- oder ehrenamtlichen Teams und natürlich aus dem Vorstand. Wenn wir zum Beispiel neue Projekte angehen, planen wir nicht am grünen Tisch, sondern versuchen, eine breite Basis einzubinden. Partizipation bezieht sich bei uns nicht nur auf Zielgruppen, sondern auch auf Mitarbeiter/innen. Bei uns brauchen die Positiven kein eigenes Sprachrohr oder Forum, weil sie sowieso überall einbezogen sind und mitreden. Ich habe den Eindruck, dass es bei den Positivensprechermodellen in anderen Städten oft darum geht, eher einen Gegensatz statt ein Miteinander herzustellen. Ich denke, solche Gremien ziehen oft Menschen an, die sich darüber profilieren, gegen etwas zu kämpfen. Das bindet viel positive Energie. Bei uns entsteht durch die Einbindung, durch das Erleben, mitverantwortlicher Teil des Ganzen zu sein, eine sehr hohe Motivation.

In eurem Forum ist immer wieder der Gedanke an andere Einrichtungen aufgetaucht, die Aufgaben der Aidshilfe z.B. im Rahmen der STI-Prävention übernehmen könnten, und das natürlich nicht mit dem Anspruch oder Leitbild von Aidshilfe. Gibt es denn tatsächlich solche harten Verteilungskämpfe, oder hängen diese Befürchtungen angesichts der praktisch immer drohenden Kürzungen wie ein Damoklesschwert über uns?

In NRW gibt es ungefähr 40 Aidshilfen, in Bayern ganze vier. Daneben gibt es elf psychosoziale Aids-Beratungsstellen z.B. in Caritas-Trägerschaft. Das ist noch dem bayrischen Maßnahmenkatalog geschuldet, der dieser anarchistischen Aidshilfebewegung etwas entgegensetzen wollte. Wir arbeiten gut mit der Caritas zusammen, und es gibt eine Vielzahl von Angeboten, mit denen man sich vergleicht, was ja im Sinne von Benchmarking auch gut ist. Wenn die Beratungsstelle einer dermatologischen Klinik Angebote für die schwule Szene macht, fragt man sich schon, ob sie sich in Konkurrenz zu uns begeben will. Aber es gibt regelmäßige Treffen der Beratungsstellen, und da kriegt man schon mit, dass es nicht um Konkurrenz geht. Die anderen Beratungsstellen haben eben einen ganz anderen Ansatz; z.B. sind Ehrenamtler dort – wenn es sie überhaupt gibt – reine Hilfskräfte. Vor kurzem gab es Gesundheitstage in Rosenheim, bei denen wir als Unterstützung angefragt waren. Drei Beratungsstellen haben ihre Hauptamtler geschickt, wir die Ehrenamtler. Die sind dann in der Berichterstattung gar nicht vorgekommen, obwohl sie die eigentlichen Stars waren.

Wie sieht Euer Fazit nach der Diskussion der Thesen aus?

Auch wenn für uns vieles nicht mehr neu war, war es eine Bereicherung, sich auszutauschen und zu fragen: Machen wir noch das Richtige? Wo geht es hin? Gerade in so einer großen Einrichtung gibt es ja die Tendenz, dass vieles in kleinen Zirkeln diskutiert wird, und die Thesen waren eine gute Gelegenheit, mal wieder im großen Kreis zu diskutieren. Es haben sich ganz viele Gruppen beteiligt, und es ist prima, dass jetzt alle auf dem Stand der Debatte sind.

Letzte Frage: Die sieben Thesen beschäftigen sich mit der Zukunft; eine Auflösung der Aidshilfe ist darin aber nicht vorgesehen. Wie siehst du das?

Die Aidshilfen könnten sich auflösen, wenn es Aids nicht mehr gibt, aber das ist unrealistisch. Meine Generation wird das nicht mehr erleben. Natürlich wird sich ganz viel ändern auch in dem, was Aidshilfe zu leisten hat. Die Besonderheit von HIV einzigartig, und deshalb macht es auch keinen Sinn zu sagen: HIV ist eine STI wie jede andere auch. Solange HIV besonders bleibt, ist es wichtig, dass es auch besondere Angebote gibt. Das ist ja das Erfolgsmodell von Aidshilfe, die aus der Selbsthilfe kommt und nicht aus rein karitativem Gutmenschentum.