Rückblick auf ein bewegtes und bewegendes Jahr

Wir blicken zurück auf ein bewegtes und bewegendes Jahr 2013: Erfolge konnten gefeiert, Misserfolge mussten hingenommen werden, gegen politische Entwicklungen in Deutschland und weltweit wurde protestiert.

Im Jahresrückblick wollen wir uns einer kleinen Auswahl der Themen noch einmal widmen, die für die HIV-Prävention wichtig gewesen sind, die unsere Arbeit gegen Diskriminierung betreffen und die Menschen mit HIV, Drogengebrauchende Menschen, Menschen in Haft, Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben, Menschen in der Sexarbeit und viele andere beschäftigt haben.

Ein gutes Jahr für den Schutz vor Diskriminierung von Menschen mit HIV

Grund zum Feiern brachte das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.12. zum Fall des in der Probezeit entlassenen Chemielaboranten: zum ersten Mal wird die symptomlose HIV-Infektion als Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) von einem Gericht anerkannt. Die Europäische Richtlinie zur Antidiskriminierung ist in Deutschland bisher unzureichend umgesetzt, chronische Erkrankungen gehören nach dem deutschen AGG nicht zu den Merkmalen, die Schutz vor Diskriminierung begründen. Bereits im April hatte der Europäische Gerichtshof die deutsche Bundesregierung aufgefordert, hier nachzubessern. Die Änderung des AGG muss nun auf die politische Agenda gesetzt werden! Am Rande des Prozesses hat uns besonders gefreut, dass die Anwälte des Chemielaboranten die Ergebnisse unseres Projekts „positive Stimmen“ genutzt haben.

Aktiv gegen Diskriminierung setzen sich unter anderem auch vier der im letzten Jahr gegründeten Themenwerkstätten der Selbsthilfe zu den Themen „Abbau von Diskriminierung im Medizinsystem“, „Versorgung im Alter“, „HIV im Erwerbsleben“ und „Umgang mit verinnerlichter Stigmatisierung“ ein.

Seit Juli gibt es in der Bundesgeschäftsstelle eine Kontaktstelle für Menschen mit HIV, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben (Tel. 030-69008767 und gegendiskriminierung@dah.aidshilfe.de). Sie ergänzt die Beratungsarbeit der regionalen Aidshilfen durch ein bundesweites Angebot. Ziel ist es zum einen, HIV-Positive zu unterstützen, die sich gegen Diskriminierung wehren; zum anderen soll das Bewusstsein für HIV-bedingte Diskriminierung bei Kooperationspartnern wie den Antidiskriminierungsstellen und z.B. Berufsverbänden und Kammern gefördert werden.

Kein gutes Jahr für die Homorechte weltweit!

Uganda, Indien, Russland – Länder, die es in diesem Jahr neu oder wieder auf die Liste der Staaten geschafft haben, die Homosexualität kriminalisieren, sei es durch Sanktionen bis hin zur Todesstrafe oder durch das russische Anti-Homopropaganda-Gesetz, das die homophobe Stimmung im Land weiter begünstigt und den Gewalttätern eine gesetzliche Legitimation gibt. Der Überfall auf das Regenbogencafé der russischen HIV-Präventions-NGO „LaSky“ am 3. November ist ein Ergebnis der eskalierenden schwulenfeindlichen Stimmung im Land. Mit La Sky und anderen NGOs in Russland hat die DAH in den letzten Jahren Projekte umgesetzt und die Arbeit vor Ort unterstützt.

Gegen die homophobe Gesetzgebung waren wir mehrfach mit auf der Straße – schon auf dem CSD nahm die Solidarität mit Lesben und Schwulen in Russland einen sichtbaren Raum ein, am 31.8. beteiligten wir uns an der Demo „Enough is Enough – Stop Homophobia“, mit einem Kiss-In vor der russischen Botschaft ging es Anfang September weiter, und wiederholt fanden seitdem unterschiedlichsten Aktionen vor der Botschaft statt.

Der 15. Dezember wurde zum weltweiten Tag des Protests gegen die Entscheidung der indischen Regierung, mit dem § 377 die Strafbarkeit von homosexuellen Handlungen wieder einzuführen, ausgerufen.

In Uganda hat die zunehmende Diskriminierung und Hetze gegen Homosexuelle demnächst auch gesetzliche Rückendeckung, wenn der ugandische Präsident das vom Parlament verabschiedete Gesetz unterschreibt. Dann können nicht nur homosexuelle Handlungen unter lebenslange Strafe gestellt werden; auch die Forderung nach Menschenrechten für Lesben und Schwule ist als Werbung für Homosexualität verboten. Wir fordern die Bundesregierung auf, gegen diese eklatante Menschenrechtsverletzung zu protestieren.

Deutschland muss sich gegen diese internationalen Entwicklungen stellen und die betreffenden Regierungen konfrontieren- – gerne auch gemeinsam mit anderen Ländern! Indien, Uganda und Russland sind nur einige Beispiele der weltweit derzeit 76 Länder, in denen Homosexualität unter Strafe steht. Und es werden dank radikaler Strömungen aus unterschiedlichen Richtungen wieder mehr.

Dagegen nimmt sich die homopolitische Stagnation in der deutschen Politik der neuen Bundesregierung harmlos aus. Auf die volle Gleichstellung homosexueller Partnerschaften werden wir wohl warten und auf das Bundesverfassungsgericht hoffen müssen.

Vor und zurück bei der Heilungsforschung

Nach dem so genannten „Berliner Patient“, bei dem nach zweifacher Stammzelltransplantation kein HIV mehr nachweisbar war, galten zwei weitere Patienten in Boston nach einer Stammzelltransplantation als geheilt. Bei diesen wurden nun aber wieder HI-Viren gefunden. Ein Unterschied: Dem „Berliner Patient“ wurde Knochenmark mit Zellen, denen der CCR5-Rezeptor fehlte, transplantiert. Die CCR5-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle bei der Übertragung von HIV, es gibt nur wenige Menschen, die diesen Rezeptor nicht haben und dadurch geschützt sind vor einer HIV-Infektion. Die „Bostoner Patienten“ hatten auch nach der Transplantation Zellen mit CCR5-Rezeptor; trotzdem war HIV einige Monate nicht nachweisbar. Hier wird die Forschung jetzt weiter nach Unterschieden zwischen den Fällen und Gründen für Erfolge und Misserfolge suchen.

Ein weiterer Erfolg: Im Laborversuch an Mäusen konnte HIV mit Hilfe einer „Genschere“ (ein Enzym) wieder aus den infizierten Zellen entfernt werden.

Der Weg zur Heilung ist noch lang und mehr Investition in Forschung notwendig, um die bekannten Bausteine besser zu verstehen und sie eines Tages zu einer kombinierten Heilung zu verbinden.

Prostitutionsgesetz am Pranger – Sexarbeiter_innen wehren sich

Prostitution und Sexarbeit werden immer häufiger mit Menschenhandel gleichgesetzt. Forderungen nach einem generellen Verbot von Prostitution, nach der Bestrafung von Freiern oder zumindest nach einer Anzeigepflicht bei Verdacht auf Menschenhandel sind die Folge. Dem Ziel, Menschenhandel zu beenden, helfen sie nicht. Gegen sexuelle Ausbeutung, Vergewaltigung und Menschenhandel gibt es strafrechtliche Regelungen, die angewendet werden können. Das Prostitutionsgesetz jetzt an den Pranger zu stellen ist kontraproduktiv – im Gegenteil, es müsste um weitere Ausführungsvorschriften ergänzt werden, um zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Sexarbeit und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beizutragen.

Viel Wirbel gab es um den „Appell gegen Prostitution“ von Alice Schwarzer, den auch einige prominente Politiker_innen unterschrieben haben. Die Deutsche AIDS-Hilfe unterstützt den Gegenaufruf des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen „Appell für Prostitution – für Stärkung der Rechte und Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Menschen in der Sexarbeit“.

„Wussten Sie eigentlich?“ Die Deutsche AIDS-Hilfe ist 30 geworden

Unsere Jubiläumskampagne „Wussten Sie eigentlich?“ startete erfolgreich pünktlich zum 30. Geburtstag der Deutschen AIDS-Hilfe am 23.9.2013: „Mit HIV kann man fliegen.“ – „AIDS ist auch nicht mehr, was es mal war.“ – „Heroin kann Leben retten.“ – Mit pointierten und provokanten Claims lenkt die DAH den Blick auf den Wandel des Lebens mit HIV und die Herausforderungen der Gegenwart. Die Kampagne will neue Einsichten vermitteln, aktuelle Bilder vom Leben mit HIV zeichnen, Diskriminierung entgegentreten und auf die wichtigsten Ziele und Themen unserer Arbeit hinweisen. Denn mit 30 Jahren Erfahrung können wir heute sagen: Unsere Arbeit war nicht umsonst, und es gibt immer noch viel zu tun. Unser Ziel ist zeitlos: ein solidarisches Miteinander. Wir fordern heute wie in den Anfangstagen eine angemessene Versorgung aller von HIV und Hepatitis bedrohten Gruppen mit medizinischer Behandlung und den für sie passenden Präventionsangeboten. Auf www.aidshilfe.de/30 erzählen zehn Menschen ihre Geschichte, die den jeweiligen Claim illustriert. Wer diese Geschichten gelesen hat, wird über vieles anders denken.

Spritzentauschprogramme auch hinter Gittern – mitmachen auf www.drogenundmenschenrechte.de bis 31.12.

Den Tag der Menschenrechte hat die Deutsche AIDS-Hilfe in diesem Jahr Menschen in Haft gewidmet: Mit der Kampagne „Saubere Spritzen für Gefangene“ fordern wir gemeinsam mit dem Bundesverband der Eltern und Angehörigen akzeptierender Drogenarbeit, akzept e.V. und dem Paritätischen Gesamtverband die Wiedereinführung von Spritzentauschprogrammen in Haftanstalten. Derzeit existiert bundesweit nur noch ein Spritzentauschprogramm, nämlich in Berlin-Lichtenberg, alle anderen wurden eingestellt.

Spritzentausch und Substitution gehören zu den anerkannten Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor HIV und Hepatitis-Infektionen. Diese müssen auch im Strafvollzug zur Verfügung stehen, denn die Versorgung darf gemäß dem Äquivalenzprinzip in der Haft nicht schlechter sein als außerhalb ´der Gefängnismauern. Wenn es keine sterilen Spritzen gibt, kommen selbstgebaute zum Einsatz, die die Gefangenen aus Kugelschreibern u.a. Materialien basteln, denn Drogen gibt es entgegen aller Ansprüche eben in jedem Gefängnis.

Die DAH hat sich zum Ziel gesetzt, mit dieser Aktion und einem Fachtag das Thema wieder auf die politische Agenda zu setzen. Unterzeichnet werden kann der Appell unter www.drogenundmenschenrechte.de noch bis Ende des Jahres.

Der Aktionsplan Hepatitis als strategischer Weg

Am 23. Juli, zwei Tage nach dem bundesweiten Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher_innen, stellte ein breites „Aktionsbündnis gegen Hepatitis“ aus Deutscher Leberstiftung, Deutscher Leberhilfe e.V. und Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogenbrauch“ mit der DAH, akzept e.V., dem JES-Bundesverband, dem Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit sowie der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin einen Aktionsplan gegen Virushepatitis vor. Damit werden beschreitet gemeinsam neue Wege beschritten, um die Diagnostik, Prävention und Behandlung zu verbessern. Für uns war es wichtig, dass unterschiedliche Zielgruppen und Settings durch den Aktionsplan Aufmerksamkeit und adäquate Präventions- und Behandlungsangebote bekommen: Menschen mit Migrationshintergrund, Drogengebraucher_innen, Inhaftierte und Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Konkret geht es um die Anpassung von Interventionen an die Lebensverhältnisse insbesondere der unterschiedlichen Zielgruppen, die Testung unter Berücksichtigung und Beteiligung der Zielgruppen und den Zugang zu einer leitliniengerechten Therapie für alle Patienten mit einer Virushepatitis.

Der Aktionsplan wird dem Bundesministerium für Gesundheit übergeben, nachdem die neue Bundesregierung die Arbeit aufgenommen hat.

Schutz durch Therapie oder Treatment as Prevention – warum wir das eine verbreiten müssen und das andere nicht wollen

Menschen mit HIV sind auch beim Sex nicht infektiös, wenn dank antiretroviraler Medikamente die Virusvermehrung im Körper unterdrückt ist und seit sechs Monaten stabil unter der so genannten Nachweisgrenze liegt. Diese Botschaft ist nicht nur für HIV-positive Menschen entlastend, sie kann auch für deren Partner_innen sehr wichtig sein. Eine wirksame HIV-Therapie schützt genauso zuverlässig vor einer HIV-Übertragung wie das Kondom und kann daher unter „Safer Sex“ gefasst werden.

Weltweite Rufe, die präventive Wirkung der HIV-Therapien bei Therapieentscheidungen zu berücksichtigen, unterstützt die DAH nicht. Die Forderung nach „Treatment as Prevention“ birgt die Gefahr, dass Menschen unter Druck gesetzt werden, eine HIV-Therapie zu beginnen, obwohl sie das selbst noch nicht wollen oder es noch gar keine medizinische Therapieempfehlung gibt. Das widerspricht dem Grundsatz der freiwilligen Patientenentscheidung: Bei einer Therapieentscheidung muss die individuelle gesundheitliche Situation im Mittelpunkt stehen, sie muss immer eine eigene Entscheidung bleiben. Der Nebeneffekt, auch sexuell nicht infektiös zu sein, kann eine erfreuliche zusätzliche Nachricht sein. Der Schutzeffekt für andere darf aber kein Grund sein, Menschen zu einer Therapie zu drängen.

Dass international im Kampf um die Verfügbarkeit von Medikamenten „Treatment as Prevention“ auch von Aktivist_innen als Argument eingesetzt wird, um pharmazeutische Firmen und Regierungen unter Druck zu setzen, ist verständlich. Allerdings zeigen aktuelle Studien, dass der Zugang zur Therapie in vielen Ländern an der Diskriminierung und der Angst vor Diskriminierung scheitert: Insbesondere Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben, Drogengebraucher_innen und Sexarbeiter_innen haben kaum Zugang zu den lebensnotwendigen Medikamenten. Hier gibt es noch viel zu erkämpfen.

Heimtests und mehr – Testen um jeden Preis?

Die Debatte um den Heimtest ist in diesem Jahr aufgrund der Aktivitäten in einigen europäischen Ländern neu entfacht. In Deutschland gilt weiterhin, dass ein HIV-Test unter ärztlicher Begleitung durchgeführt werden muss, wie andere medizinische diagnostische Maßnahmen auch. Befürworter des Heimtests argumentieren damit, dass Menschen, die fürchten, beim Arzt oder im Gesundheitsamt diskriminiert zu werden, ein Test zuhause am Küchentisch leichter fällt. Doch dafür gibt es keine Belege, und für uns wiegt die Frage schwerer, was ein positives Ergebnis ohne eine Beratung auslösen kann, die den ersten Schock, den viele Menschen trotz der heute annähernd normalen Lebenserwartung haben, auffängt und Unterstützung bietet. Die Rufe nach einer Freigabe von Heimtests auch in Deutschland unterstützen wir daher nicht. Diskriminierung ist ein wesentliches Hindernis für den Zugang zu Test-, Beratungs- und Behandlungsangeboten, aber die Angst davor bleibt, auch wenn der erste Schritt des Tests im privaten Setting stattfinden kann. Wir fordern deshalb mehr passgenaue, niedrigschwellige und communitybasierte Angebote, die den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppen entsprechen.

Danke und auf ein Neues!

Wir möchten uns bei allen bedanken, die in diesem Jahr mit uns gemeinsam und wir mit ihnen vieles bewegt haben. 2014 erwartet uns mit spannenden Aufgaben – wir zählen auf Ihr Interesse und Ihre Kooperation!