Urteile nach § 175: Justizminister legt Eckpunkte für ein Aufhebungsgesetz vor

Bundesjustizminister Heiko Maas forciert den Plan, die nach Paragraf 175 StGB verurteilten Homosexuellen juristisch zu rehabilitieren.

Wie das „ARD-Hauptstadtstudio“ am Freitag meldete, habe sein Ministerium ein Eckpunktepapier für ein Aufhebungsgesetz erarbeitet, das kommende Woche den Fraktionen zur Abstimmung vorgelegt werden soll.

Der Minister setzt damit eine im Mai getätigte Absichtserklärung um. Damals hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein Rechtsgutachten vorgelegt, wonach auch die nach 1945 unter dem sogenannten Schwulenparagrafen gefällten Urteile gegen homo- und bisexuelle Männer Unrecht waren und aufgehoben werden müssen. Maas hatte daraufhin einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt.

Die aufgrund des Paragrafen 175 ergangenen Verurteilungen seien „in besonderem Maße grundrechtswidrig“, heißt es in dem Eckpunktepapier des Ministeriums. Dies wolle man durch die Rehabilitierung deutlich machen. Die Strafurteile sollen „unmittelbar durch das Gesetz“ und „unabhängig von den Umständen des Einzelfalls“ aufgehoben werden.

Rehabilitiert werden sollen zum einen Männer, die als Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren einvernehmlich Sex miteinander hatten und deshalb bestraft wurden, sowie Männer, die als Erwachsene und Jugendliche über 16 Jahre einvernehmlich Sex miteinander hatten und verurteilt wurden. Diese Regelung orientiert sich am damaligen Schutzalter für Heterosexuelle. Ausgenommen sind Verurteilungen, wenn Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt oder die sexuellen Handlungen unter Nötigung oder mit Gewalt vorgenommen wurden.

Das Eckpunktepapier skizziert außerdem drei verschiedene Möglichkeiten einer Entschädigung: So etwa eine Individual-Entschädigung, bei der die verbüßte Freiheitsentziehung, gezahlte Geldstrafen oder auch Kosten des Verfahrens berücksichtigt werden. Des Weiteren plant Maas einen Entschädigungsfonds für besondere Härtefälle, der denjenigen Betroffenen zu Gute kommen soll, die nicht in der Lage sind, die notwendigen Nachweise zu erbringen.

Über die individuellen Entschädigungszahlungen hinaus sehen die Eckpunkte außerdem eine Kollektiventschädigung vor, zum Beispiel in Form „einer Projekt- oder institutionellen Förderung". Dadurch könnten die vielen Justizopfer, die nicht mehr am Leben sind, zumindest symbolisch entschädigt werden. Denkbar wäre hier zum Beispiel die Unterstützung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die sich diesem Thema bereits wissenschaftlich widmet.

Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren e. V. (BISS) hatte im Mai ihre Kampagne „Offene Rechnung: § 175 StGB“ gestartet und die Rehabilitierung sowie Entschädigung der Verurteilten gefordert. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) und der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) hatten die Aktion unterstützt und gemeinsam mit BISS ein Positionspapier veröffentlicht. „Die tiefen Verletzungen, die dieser Schandparagraf Menschen beigebracht hat, lassen sich nicht rückgängig machen, die Urteile hingegen müssten längst aufgehoben sein“, hatte DAH-Vorstandsmitglied Manuel Izdebski seinerzeit erklärt. „Dass die Opfer bis heute als vorbestraft gelten, ist unerträglich, sie verdienen eine Entschuldigung und Entschädigung!“

Auf welchen Umfang die Entschädigungszahlungen hinauslaufen sollen, geht aus dem Bericht des ARD-Hauptstadtstudios nicht hervor. BISS hatte Anfang Juni einen hohen zweistelligen Millionenbetrag für eine Kollektiventschädigung gefordert.

Sollte sich Maas mit seinem Eckpunktepapier in der Koalition durchsetzen, würde allen Betroffenen die Aufhebung ihres Urteils behördlich bestätigt. Bei bereits Verstorbenen soll auch der Lebenspartner die Möglichkeit erhalten, einen Antrag auf Aufhebung des Urteils zu stellen.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßt die Pläne des Justizministeriums. „Unser vor wenigen Wochen vorgelegtes Rechtsgutachten hat gezeigt: Der sogenannte ‚Schwulen-Paragraf‘ war ein beschämender Makel des Rechtsstaats“, erklärte die Leiterin Christine Lüders. „Es besteht daher die Verpflichtung, dieses Unrecht wiedergutzumachen.“

Der Paragraf 175 StGB stammte aus der Kaiserzeit und bestand in der von den Nazis verschärften Fassung bis 1969 fort, endgültig abgeschafft wurde er erst 1994. Mehr als 100.000 Männer wurden in der Bundesrepublik nach diesem Paragrafen verfolgt, mehr als 50.000 verurteilt.

(ascho)

Quelle:

Bericht auf tagesschau.de