Zahl der Drogentoten um fast 10 Prozent gestiegen

1.398 Menschen sind 2019 an den Folgen ihres Drogenkonsums gestorben – fast 10 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Hauptursache sind, wie auch in den vergangenen fünf Jahren, Überdosierungen von Opioiden wie Heroin oder Morphin sowie die Kombination mit anderen Substanzen.

DAH fordert: Es müssen dringend alle Möglichkeiten der Schadensminderung genutzt werden

Dies teilte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Daniela Ludwig mit. Besonders signifikant sei der Anstieg aufgrund von Langzeitschädigungen in Kombination mit Überdosierungen – von 38 Todesfällen im Jahr 2018 auf 172 im Jahr 2019.

„Die Entwicklung der vergangenen Jahre können wir auf keinen Fall hinnehmen!“, erklärte Ludwig.

„Wir sehen an den Zahlen klar, dass wir Leben nur dann retten können, wenn die Hilfsangebote vor Ort noch besser und vor allem lückenloser werden.“ Dazu gehöre eine noch flächendeckendere Substitutionsversorgung. Auch in der aktuellen Coronakrise dürften die Substitutionspatient_innen nicht auf der Strecke bleiben. 

Eine konzertierte Aktion für mehr Substitution ist unerlässlich

Die DAH sieht die politisch Verantwortlichen im Bund und den Ländern, die Fachverbände sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen in der Pflicht, hier die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Mehr als die Hälfte der Opioidkonsument_innen seien seit Jahren weitgehend unversorgt.

„Wir benötigen eine gemeinsame Anstrengung von den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Universitäten bei der Ausbildung von Mediziner_innen, um mittelfristig mehr Ärzt_innen für die Substitutionsbehandlung zu gewinnen“, erklärt Dirk Schäffer, DAH-Referent für Drogen und Strafvollzug/JES. Die Substitution habe sich als die erfolgreichste Behandlungsform der Opioidabhängigkeit bewiesen.

„Ferner müssen die guten Ergebnisse und das große Interesse von Opioidkonsument_innen an der Diamorphinbehandlung dazu führen, die Rahmenbedingungen dieser Form der Substitution zu überarbeiten, um den Behandlungszugang deutlich zu vereinfachen“, betont Dirk Schäffer. 

Naloxon muss allen Substitutionspatient_innen verschrieben werden

Viele Todesfälle durch Überdosierungen könnten auch mithilfe des Medikaments Naloxon verhindert werden, so Schäffer.

In Bayern werde es zwar in einem Modellprojekt erprobt, bundesweit aber sei es kaum verfügbar. Es sei unverständlich, warum substituierende Ärzt_innen ihren Patient_innen dieses sichere, einfach anzuwendende und lebensrettende Medikament nicht schon verschrieben.

Darüber hinaus, so Dirk Schäffer, fehle es an einer bundesweiten Zusammenführung der Ausbildung von Drogenkonsument_innen, Mitarbeiter_innen des Hilfesystems und Ärzt_innen.

„Es muss möglich sein, dass all jene, die über eine Kurzintervention z. B. in den Drogen- und Aidshilfen geschult wurden, sofort mit Naloxon ausgerüstet werden.“

Wie wichtig insbesondere die Verfügbarkeit dieses Medikaments für ältere Drogengebraucher_innen sein könnte, zeige der Anstieg der Todesfälle in dieser Gruppe von 350 Prozent gegenüber dem Jahr 2018.

Drug-Checking – Bund und Länder müssen nun zusammenarbeiten

Auch die Todesfälle durch Kokain, Amphetamine und synthetische Drogen haben zugenommen – auf 268 Tote im Jahr 2019, was fast einer Verdoppelung seit 2014 entspricht.

„Dieser deutliche Anstieg muss dazu führen, dass wir endlich die gesamte Palette der Angebote zur Schadensminderung – also auch mobiles und stationäres Drug-Checking – zum Einsatz bringen“, hebt DAH-Referent Schäffer hervor.

Hier gelte es nun, Bund und interessierte Länder zusammenzubringen, um gemeinsam die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen und zu einer einheitlichen Rechtsauffassung zu gelangen.

„Im Mittelpunkt muss stehen, dass wir mit dem Angebot des Drug-Checking und einer flankierenden Beratung eine bisher weitgehend unversorgte Gruppe von Drogengebraucher_innen erreichen können“, so Schäffer.

Kriminalisierung beenden

Insbesondere in der Gruppe der Opioid-Langzeitkonsument_innen zeigen sich laut Schäffer die Folgen der jahrzehntelangen Kriminalisierung und Verfolgung, Inhaftierung und Obdachlosigkeit.

Die nun veröffentlichte Zahl von 1.398 Todesfällen müsse die politisch Verantwortlichen dazu bringen, über grundlegende Änderungen der Drogenpolitik nachzudenken. Die im Drogenbereich aktiven Verbände, die Wissenschaft sowie die Politik sollten gemeinsam eine ergebnisoffene Diskussion über die Strafbewährung von Erwerb und Besitz geringer Mengen zum Eigenbedarf initiieren.

„Wir sehen Jahr für Jahr, dass unsere Freund_innen, Klient_innen und Patient_innen versterben “, erklärt Dirk Schäffer. „Dieser Umstand muss uns dazu bringen, die seit 30 Jahren geltenden Grundfesten der Drogenpolitik in Deutschland zu überprüfen.“

(ascho)